Spiegel der Geschichte: Ein seltsamer Patron
Um nachhaltig an Bürgermeister Johann Smidts Schattenseiten zu erinnern hängt nun eine Plexiglastafel neben seiner Statue in der Bel-Etage des Rathauses.
Weiße Baumwollhandschuhe trägt der Haustechniker, als er die glänzende Plexiglasscheibe in die Halterung an der Treppenhauswand neben dem Bürgermeisterzimmer drückt: Ein undankbares Material, auf dem jeder Fettfleck sichtbar wäre, sofort und aus jeder Perspektive. Anders dagegen die schwarze Schrift. Dabei ist nur die jetzt wichtig. Trotzdem, bei Tageslicht kann die rechts neben ihr montierte Erläuterung zur klassizistischen weißen Marmor-Statue des Bürgermeisters Johann Smidt (1773-1857) nur entziffern, wer sie von der Fensterseite im 45 Gradwinkel betrachtet. Und auch das nur aus etwa 30 Zentimeter Abstand.
Aber etwas respektvolle Versenkung ist ja auch geboten: Immerhin summieren diese 13 Textzeilen mehr als vier Jahrzehnte kritischer Auseinandersetzung mit Johann Smidt. Oder, um es angemessener zu formulieren: Sie sorgen dafür, dass wenigstens etwas von ihren Ergebnissen in der öffentlichen Wahrnehmung dauerhaft hängen bleibt – wenn es auch schwer lesbar geraten ist.
Genau genommen tun es auch nur die letzten drei Textzeilen, eingeleitet von der Phrase, „die Schatten seines Handels“ seien „lange übersehen“ worden. Das wiederum ist ein Gemeinplatz der öffentlichen Diskussion, den Staatsarchiv-Leiter Konrad Elmshäuser schon 2007 als erstaunlich bezeichnet hatte: Schließlich war bereits vor fünf Jahren in der Lebensgeschichte Smidts „für echte Enthüllungen kein Raum mehr“ geblieben, so ist es im Bremischen Jahrbuch Band 87 nachzulesen.
Die seriöse Geschichtsschreibung hat eben nicht verdrängt, dass Smidt die Verfassung brachund 1852 mit diplomatischem Geschick dafür sorgte, dass im Zweifelsfalle hannoversche Truppen das „Revolutions-Gesindel“ zusammenkartätscht hätten, also die Bürgerschaftsabgeordneten. Auch Landeskonservator Georg Skalecki schaut zu, wie die Plakette enthüllt wird. „Mit der kann ich leben“, sagt er. Gesträubt hätte er sich dagegen, den Marmor-Trumm in den Keller zu räumen, oder an einen anderen Standort. Das hätte er „als ’Zensur“ empfunden, „Zensur in Anführungsstrichen.“ Hier, auf der Bel-Etage könne man sich an ihr „intellektuell reiben“. Dank der Erläuterungstafel.
Die beginnt mit dem Satz „Johann Smidt war der bedeutendste Politiker und Diplomat Bremens im 19. Jahrhundert“. Ein Superlativ, an dem man sich wirklich reiben kann: So wie man die Statue 1937 von ihrem schattigen Plätzchen in der Oberen Rathaushalle ins helle Treppenhaus schaffte, so werden eben auch die Fakten immer wieder unterschiedlich beleuchtet und bewertet.
So ist auch Smidts Judenhass ein alter Hut: Schon Anfang der 1920er hatte der völkische Lokalschreiber Richard Rüthnick Smidt genau wegen seines Antisemitismus gefeiert, später würdigten ihn andere Nazi-Denker dafür, und einen einschlägigen Aufsatz brachten die Bremer Nachrichten 1938 als Sonderveröfffentlichung anlässlich Smidts 155. Geburtstag.
Unter demokratischen Bedingungen hatte in jener Zeitung allerdings zwölf Jahre zuvor schon der Jurist Victor Böhmert Schatten seines Handelns benannt. Insgesamt habe der, so Elmshäusers Zusammenfassung der Artikelserie, „Smidts Rolle als ungünstig und schädlich für Bremen“ beschrieben. Der Historiker Andreas Schulz legt sogar nahe, dass wohl schon 1857 „der Exitus des Bürgermeisters weithin als Befreiung empfunden worden“ sei. Die vom Senat – also nicht zuletzt ihm selbst – beim aus Bremen stammenden Repräsentativ-Bildhauer Carl Steinhäuser bestellte Statue lässt sich jedenfalls nicht so ohne weiteres als Ausdruck der „Verehrung seiner Person“ deuten, wie es die Erläuterungstafel nun tut. Das Selbstbild war dem vielbeschäftigten Mann dabei so wichtig, dass er dem Künstler persönlich Modell stand. Die „Schatten seines Handelns“ sind insofern von 1933 bis 1945 nicht als solche gewertet, und dann von 1945 bis 1970 durchaus aktiv übersehen worden, gerade mal 37 Jahre, das ist nicht lang.
Der Blindheit ein Ende bereitet hatte 1970 Bremerhaven-Archivar Karl Heinz Schwelbel: Mit dem Aufsatz „Smidt und Wir – eine Bilanz“ warnte er, den Stadt-Gründer zu glorifizieren. Wohl auf Basis dieser Studie stellte dann Bürgerschaftspräsident Dieter Klink (SPD) klar, Smidt sei eben „kein großer Bürgermeister“ gewesen – in seiner Neujahrsansprache zum Smidt-Jahr 1973. Und aktiv verhinderte er deshalb, dass die Bremer Landesbank eine Gedenkmünze prägte.
Ganz so weit ist man heute noch nicht: Während Jens Böhrnsen zu Beginn der aktuellen Debatte mehr Schatten als Licht beim Smidt erkannte, überwiegen auf der Gedenktafel Verdienste und Lobesworte. Eine verpasste Gelegenheit, keine Frage. Aber zum Glück kaum lesbar.
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