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Archiv-Artikel

Spezialität des HAUses

Hoch soll es leben, dreimal hoch: Zuletzt in HAU 1, 2 und 3 vervielfältigt, feiert das Hebbel-Theater seinen 100. Geburtstag. Den Auftakt bildete das Themenwochenende zur Frage der „Re-Education“

VON EKKEHARD KNÖRER

Das Kreuzberger Hebbel-Theater wird hundert, und als HAU feiert es zu diesem Jubiläum sich selbst. Als Drei-Bühnen-Theater HAU hat Intendant Matthias Lilienthal, zuvor Volksbühnen-Dramaturg, vor ein paar Jahren das ehrwürdige Theater neu erfunden. Das Konzept oder jedenfalls die Realität: Ein etwas unübersichtliches Durcheinander aus Experiment und Tanz, internationaler Avantgarde und deutschen Hoffnungsträgern, aus Kunst und Dilettantismus, nervtötender Hipness und aufregendem Scheitern.

Eine Spezialität des HAU sind Themenwochenenden, mit denen das Prinzip KuratorIn nach seinem Siegeszug in der Kunst auch im Theater angekommen ist. Oder mit dem die Kunst vielleicht auch das Theater einfach gekapert hat. Die Veranstaltungen sind über die Gänge und Stockwerke der drei HAU-Bühnen verteilt. Man hört ein Soundbite hier, erhascht einen Gedanken da, und beim Erfrischungsstand flimmert eine Videoinstallation. Der traditionelle Kern, der Theater genannte Verbund aus Bühne und Zuschauerraum, wird dabei zur Black Box, in die man mal reinschaut, um zu sehen, ob das, was vorne passiert, einen eventuell interessiert.

Das jüngste Wochenende war vor dem Hintergrund des Hebbel-Jubiläums dem Thema „Re-Education“ gewidmet und wurde von der Philosophin Stefanie Wenner kuratiert. Geboten war der inzwischen übliche interdisziplinäre Mix aus Videokunst, Performance, Film, Diskussion, historischer Hintergrundinformation und plaudernder Prominenz aus dem Theoriebetrieb. Die Einzelmodule des Ganzen waren, wie das bei dieser Veranstaltungsform auch üblich ist, eher lose gekoppelt. Soll heißen, das eine hatte mit dem anderen und auch mit dem eigentlichen Thema nur, wenn es wollte, zu tun. Macht man sich so eben selber seinen Reim darauf.

Etwa auf den Auftritt des gehypten Künstlers Francesco Vezzoli, der Hollywood- und andere Stars für seine aufwendig produzierten Videos engagiert und mit viel Geld die Mimikry an Auswüchse der US-Unterhaltungsindustrie betreibt. Auf der letztjährigen Venedig-Biennale zeigte er zwei gefakte Werbefilme für US-PräsidentschaftskandidatInnen, die von Sharon Stone einerseits, von Bernard-Henry Levy andererseits gespielt wurden. Was er mit diesen Werken im Sinn hat, die vom Hollywood-Glamour zehren und die Pomposität der Vorbilder vollendet reproduzieren, wusste Vezzoli im Podiumsgespräch freilich selbst nicht recht zu sagen. Zum Untertitel des Wochenendes „You Too Can Be Like US“ passten seine hohlen Imitate in negativer Wendung allerdings bestens.

Eine seriösere Angelegenheit war das von Thomas Tode kommentierte Filmprogramm zu den von den Siegermächten produzierten „Re-Education“-Filmen. Zu Begriff und Konzept der „Re-Education“ leiten sich von einem psychiatrischen Fachausdruck ab, den der Neurologe Richard Brickner 1943 mit seiner Studie „Is Germany Incurable?“ ins Spiel brachte. Den Nazismus begriff Brickner als psychotische Regression, die es durch Beseitigung der kranken und Stärkung der gesunden Volkspersönlichkeitsanteile zu heilen galt. So sehen die für diese Zwecke gedrehten Filme auch aus. Einerseits die sogenannten Atrocity Pictures (also: Gräuel-Filme) mit drastischen Bildern aus den befreiten KZs. Andererseits finden sich – und nach 1947 fast ausschließlich – Propagandafilme für den American Way of Life, wie etwa Josef von Sternbergs idyllisch aufpoliertes US-Musterstädtchenporträt „The Town“.

Das Dilemma der „Atrocity Pictures“ brachte der Filmemacher Harun Farocki auf den Punkt. Die stummen Bilder von Leichenbergen und ausgemergelten Körpern, die die Deutschen schockieren sollten, schreiben die Opferposition der von den Nazis Ermordeten und Gequälten noch einmal fest. Andere Bilder waren in Farockis neuem Film „Aufschub“ zu sehen. Er zeigt und kontextualisiert Aufnahmen aus dem im niederländischen Westerbork gelegenen „Judendurchgangslager“. Fast alle Insassen des Lagers wurden in die Todeslager deportiert, in Westerbork selbst aber gab es, wie die von einem der Insassen gedrehten Aufnahmen zeigen, in Ansätzen etwas wie ziviles Leben. Wie sollen wir auf das Lächeln der Menschen auf diesen Bildern reagieren – so eine Schlüsselfrage des Films. Sie verweist, so Farocki, nicht zuletzt auf das vom Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman in seinem gerade erschienenen Buch „Bilder trotz allem“ abgelehnte Auschwitz-„Bilderverbot“.

Ein weiterer Höhepunkt war eine thematisch freilich nur locker assoziierte Theater-Performance des Libanesen Rabih Mroué. Auf der Bühne sitzen vier Darsteller eng aneinandergedrängt auf einer Couch. Jeder vertritt eine Partei im libanesischen Bürgerkrieg, zugleich aber eine Unzahl von Märtyrerbiografien. Abwechselnd erzählen sie in der ersten Person von Kampf und Tod und sagen aus dieser absurden Sprecherposition heraus Dinge wie „Nach meinem Tod dachte ich über die Angelegenheit noch einmal nach“. Dreißig Jahre Bürgerkrieg und stets gefährdeter Frieden werden in der Performance durchexerziert, hinter der Couch wird eine Folge von echten und gefälschten Märtyrer-Postern auf Leinwandtafeln eingespielt. Man weiß neunzig Minuten lang nicht, ob man lachen oder weinen soll, und wünscht nur, das Sterben möge ein Ende nehmen. Es nimmt aber kein Ende, und hier wie an manchem sonstigen Irakverweis zwischen den Zeilen wurde deutlich: Die in Deutschland irgendwie doch gelungene Umerziehung zu demokratischen Zuständen ist der Ausnahmefall.