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Archiv-Artikel

Spezialanfertigung

AVANTGARDESUPERSTAR Jonas Mekas bei den Rencontres Internationales Paris/Berlin/Madrid im HdKW

Martin Scorsese kommt auf die Kamera zu, streckt die Hand aus und schüttelt sie Jonas Mekas, der nicht im Bild ist: Begegnung zweier Legenden der Filmgeschichte New Yorks, sie kennen sich seit Jahrzehnten. Auf der einen Seite der Großregisseur mit den Millionenbudgets, auf der anderen der Tagebuchfilmer, Experimentalfilmermöglicher, Avantgardesuperstar Jonas Mekas. Der Ort: Boston. Der Anlass: die Dreharbeiten zu Martin Scorseses Gangsterfilm „The Departed“. Und Mekas schaut nicht einfach mal nur vorbei, er ist gekommen, um eine ganze Weile zu bleiben. Mit der Kamera in der Hand will er das Filmset, nicht zuletzt aber natürlich Scorsese beobachten. „Das Set ist nun auch dein Zuhause“, lautet einer der ersten Sätze, die man hört. Also wird Mekas, wird seine Kamera (manchmal führt sie auch Sebastian, sein Sohn) vor Ort zur Präsenz. Er lauscht und blickt und wir lauschen und blicken mit.

An sieben Drehorten ist Mekas dabei. Drogen werden verteilt. Vorhänge brennen. Wir sind in Chinatown und am Wasser. Wir sehen Leonardo DiCaprio und Ray Winstone und Martin Sheen. Mittendrin Scorsese, stets aufgekratzt, gut gelaunt. Eine kurze Hymne von Sheen in Mekas’ Kamera auf den uneingebildetsten aller Regisseure. Gelegentliche Gespräche von Mekas mit Marty. Weil Mekas – typischerweise – die Kamera in der Hand hält, sieht man da manchmal nur den Mund von Scorsese, den redenden Mund. Auch sonst wackelt es viel. Der Ton bleibt oft diffus, hier ein Satz, da eine Stimme, dort etwas, das man kaum versteht. Man bekommt Blicke, einen Überblick nicht.

Es gibt – anders als oft sonst bei Mekas – keinen persönlichen Off-Kommentar. Nur Musik gibt es, die die Geräusche vom Set mal überlagert, mal ganz verdrängt: eine Bach-Sonate. Man sieht ihn nie, aber als Fliege an der Wand versteht Mekas sich keineswegs. Er zeigt ja, wie er adressiert wird. Er stellt sich weder in den Vorder- noch in den Hintergrund, man hört ihn mit etwas zittriger Stimme (Mekas ist Jahrgang 1922) und dem vertrauten, heftig gebliebenen osteuropäischen Akzent (er ist in Litauen geboren, wurde von den Nazis in eine Arbeitslager gesteckt und kam 1949 in die USA). Den Hut, mit dem man ihn sonst immer sieht, denkt man sich. Wie stets gilt bei Mekas: Er dreht keine Filme. Es ist viel prinzipieller: Leben ist Aufzeichnen, Passierenlassen, Festhalten. Als „Filmer“, nicht als „Filmemacher“ hat er sich immer bezeichnet.

Darum ist die Begegnung mit einem hoch professionalisierten Filmset so interessant. Und natürlich macht Jonas Mekas einen Mekas-Film draus. Er ordnet nicht, sondern desorganisiert eher das Geschehen, eindruckshaft. Eher verschwinden die Grenzen zwischen Herumstehen, Proben und tatsächlichem Dreh. Mit falscher Unmittelbarkeit hat das nichts zu tun, auch die Aufzeichnungen der Spielszenen auf Monitoren am Set filmt er gern. Mekas’ Blick ist nicht gleichmacherisch, aber während in seinen oft sehr persönlichen Tagebuchfilmen das Unbedeutende Wert erhält, dann ist es hier eher so, dass das hollywoodmäßig Bedeutende im Mekas-Film gerade als Unbedeutendes interessant wird.

EKKEHARD KNÖRER

■ Jonas Mekas, Notes on an american film director at work: Martin Scorsese, exp. doc, 63 Min, USA 2009