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■ Speer-Prozeß: Justiz tut sich schwerPreis der Freiheit

Es ist nur scheinbar absurd, daß die Verteidigung empört ist, weil die Staatsanwaltschaft die Anklage abmildert. Für die Speer-Verteidigung liegt hier der archimedische Punkt, um das ganze Verfahren auszuhebeln: Der Kronzeuge ist geplatzt, wenn die Polizei seit Jahren auf dessen Strafverfolgung verzichtet, um seine Glaubwürdigkeit zu retten. Zugleich ist damit die gesamte Anklage unterminiert. Die Staatsanwaltschaft kann eben noch so sehr der Meinung sein, daß Klaus Speer ein böser Bube ist – sie muß es beweisen können. Damit aber stößt sie schnell an ihre Grenzen, weil es an Opfern und Zeugen aus der Organisierten Kriminalität mangelt. Das Strafgesetzbuch ist außerdem dafür nicht eingerichtet; es taugt für Diebe und Hehler, für Schränker und Schläger, nicht aber für kriminelle Großunternehmer, bei denen es zudem gleitende Übergänge von legalen zu illegalen Geschäften gibt. Wenn die Justiz also scheitert, braucht das nicht zu bedeuten, daß es keine Berliner Mafia gibt.

Dem Kampf gegen die Organisierte Kriminalität also jede Unterstützung – allerdings in den Grenzen der Demokratieverträglichkeit: Ist der verbesserte Zeugenschutz noch unproblematisch, so kann der elektronische Lauschangriff auch Unschuldige zum Spähobjekt werden lassen. Unerträglich auch, wenn die Kronzeugenregelung zur Vertuschung von Straftaten führt und verdeckte Ermittler selber kriminelle Taten initiieren. Oberstaatsanwalt Fätkinhäuer macht der Linken den Vorwurf, sie begünstige mit der Ablehnung dieses Instrumentariums das Organisierte Verbrechen. Er läßt damit aber die Erfahrungen des polizeilichen Mißbrauchs der Mittel außer acht und auch, daß zum Verbrechen auch gesellschaftliche Randbedingungen gehören: Wer beispielsweise Drogen verbietet, schafft erst die Profitmöglichkeiten. Zu entscheiden ist deshalb immer, welchen Preis die Gesellschaft zahlen will, um die Kriminalität zu besiegen. Vollständige Sicherheit vor dem Verbrechen aber gibt es nicht – erst recht nicht in einem Polizeistaat. Gerd Nowakowski

Siehe auch Bericht Seite 23

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