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Archiv-Artikel

Spaziergang im Kopf

STADTFÜHRER Wie war das mit den Verbrechen auf St. Pauli? Wo kauften die Beatles ihre erste Lederjacke? Antworten gibt ein Buch mit Hamburg-Spaziergängen

Der Kriminal-Spaziergang funktioniert auch auf dem Sofa. Das dürfte für die meisten Texte gelten

Die Finkenstraße 13 ist ein Gelbklinker-Wohnblock in Nachbarschaft zur Amüsiermeile Große Freiheit auf dem Kiez. Aus einem der Fenster in der Finkenstraße 13 hängt eine Totenkopf-Fahne und die Tür ist gesichert durch einen Eisenbeschlag, der die Konturen eines Gockels nachzeichnet. Nichts deutet auf die Kneipe hin, die sich hier zwischen 1928 und 1938 befand. Die Kneipe hieß Finkenbude und pflegte mit ihren Besuchern einen eher rustikalen Umgang – was zum Naturell der Besucher offenbar gut gepasst hatte.

In der Finkenbude schob der Wirt den Schnaps gegen Vorkasse durch eine Luke. Es gab ein Hinterzimmer, in dem die bewegungsunfähigen Gäste übernachten konnten. Das Hinterzimmer hieß „die Totenkammer“, und wenn die Totenkammer der Finkenbude voll belegt war, spannte der Wirt im Schankraum Seile. In die Seile hängte er jene Gäste, die an den Tischen zusammengesackt waren. So erklärt sich auch die Redewendung „in den Seilen hängen“.

Recherchiert und aufgeschrieben hat das alles die Soziologin und Stadtführerin Ilona Kiss. Ihr Finkenbude-Text ist in dem Buch „Hamburg: 20 thematische Spaziergänge“ erschienen. Die Finkenbude ist eine Station des Kriminal-Spaziergangs in dem Buch. Daneben gibt es beispielsweise einen Hafencity-, einen Jüdischen-, einen Literatur-, einen Kolonial- und einen Botanischen-Spaziergang. Alle Spaziergänge dauern zwischen eineinhalb und drei Stunden und sind im Buch versehen mit jeweils einer Übersichtskarte. Geschrieben haben die Spaziergänge unterschiedliche Autoren, von denen viele als Buchautoren oder als Stadtführer, meist bei dem Verein Stattreisen, tätig sind.

Bebildert ist das Buch mit Schwarz-Weiß-Fotos, die im Vergleich zur Textmasse wenig Platz einnehmen. Das führt zu einem gewissen Tiefgang, wirkt mitunter aber oberlehrerhaft, zumal die Themen immer aus historischer Perspektive beleuchtet werden. Grau wirken sie deswegen aber nicht. Der Film-Spaziergang führt zu Fatih Akin und Anno Sauls „Kebab Connection“, der Beatles-Spaziergang zu dem Laden, in dem die Beatles ihre ersten Lederjacken kauften.

Beim Kriminal-Spaziergang geht es in elf Stationen über den Kiez, wobei die Schauplätze nur zum Teil erhalten sind. Das Chinesen-Viertel in der Schmuckstraße zum Beispiel gibt es nicht mehr, immer noch vor Ort sind dagegen die beiden Hamburger Berg-Kneipen, in denen der Frauenmörder Fritz Honka in den 1970ern seine Opfer ansprach.

Der Kriminal-Spaziergang schreit nicht danach, wirklich vor Ort nachvollzogen zu werden. Er funktioniert auch daheim auf dem Sofa. Das dürfte für die meisten der Texte gelten – ein Spaziergang im Kopf ist mit diesem Buch möglich. KLAUS IRLER

„Hamburg: 20 thematische Spaziergänge“. Junius-Verlag, Hamburg 2009, 312 Seiten, 19,90 Euro