Spaniens Sieg bei der EM: Ein kurzer Moment des Glücks

Spanien gewinnt nach 44 Jahren wieder eine EM. Womöglich ist es schon der Höhepunkt einer Ära. Das Spiel der Spanier ist zu riskant, um in Serie zu gehen. Und dann geht auch noch ihr Trainer

Sie sind einfache, höfliche Sportler, und nichts anderes wollen sie sein. Auch deshalb wurden sie eine einzigartige, höfliche Elf. Bild: dpa

WIEN taz Andrés Palop brachte noch jemanden mit zur Siegerehrung. Die Aufpasser, die dafür sorgen sollten, dass bei der EM alles politisch korrekt abläuft, bekamen Panik und fragten den dritten Torhüter der spanischen Nationalmannschaft, was für ein grün-schwarzes Jersey er da angezogen habe. Vielleicht dachten sie, mit dem Wappen auf dem Trikot demonstriere er für Tibet.

"Wir haben unsere Sache gut gemacht. Wir haben gewonnen, Punkt, aus." (Spaniens Europameistermacher Luis Aragonés, 69, und demnächst Trainer bei Fenerbahce Istanbul, hat erst mal fertig mit der Selección)

"Eine EM zu gewinnen ist fast wie ein WM-Titel." (Spaniens Final-Torschütze Fernando Torres fühlt sich schon weltmeisterlich)

"Es gibt keine Angst und auch keine Komplexe mehr." (Und Spaniens Sportblatt As fühlt sich endlich befreit)

"Wir sind Meister! Wir sind die Könige Europas. Jahrzehnte des Schwermuts sind nun vorbei. Spanien hat die Europameisterschaft mit dem Pokal und einer neuen Einstellung verlassen." (Auch Spaniens Sportblatt Marca ist endlich nicht mehr depri)

"Das spanische Nationalteam war klar überlegen. Der EM-Sieg für das Team, das am besten gespielt, die meisten Tore geschossen, den größten Stil gezeigt und den Weltmeister ausgeschaltet hat, war letztlich verdient" (Die spanische Tageszeitung El País freut sich mit den Besseren)

"Wir müssen nach vorne schauen, bald beginnt die WM-Qualifikation, und die werden wir schaffen." (Philipp Lahm, immerhin EM-Allstar, ist schon wieder ziemlich optimistisch)

"Bei der WM Dritter und jetzt Zweiter, das ist schon was. Vielleicht steigern wir uns in Südafrika weiter." (Angela Merkel, DFB-Maskottchen, ist sogar noch viel zuversichtlicher)

Es müssen junge Sittenwächter gewesen sein. Denn jeder Fußballinteressierte über 35 wusste sofort, wen Palop da mit zum Pokal nahm. Er hatte sich das Originaltrikot von Luis Arconada übergestreift, dem spanischen Torwart, der das Europameisterschaftsfinale 1984 mit einem horrenden Fehler gegen Frankreich für Spanien verlor. "Es war meine Hommage an ihn", sagte Palop, "Arconada sollte auf diese Weise doch noch auf dem Siegerpodest stehen. Für meine Generation war er ein Idol."

Auf diese Weise fiel Palop nach dem 1:0-Sieg über Deutschland im Finale von Wien auf: Er war der einzige Vertreter des alten Spaniens da oben. Er ist Jahrgang 1973, fast 35 Jahre alt, fünf Jahre älter als jeder andere im Team außer dem eingebürgerten Brasilianer Marcos Senna und Juanito, die beide 1976 geboren sind.

Palops Generation hatte sich noch abgearbeitet an dem Verdammnis der Geschichte, dass Spanien - das Land der großen Klubs - mit der Nationalelf seit dem einzigen EM-Triumph 1964 nie mehr etwas gewinnen konnte. Seine Mitspieler jedoch, geboren fast allesamt in den Achtzigern, bilden die erste spanische Generation, die nicht angetreten ist, um historische Rechnungen zu begleichen oder Arconada zu rächen. Diese junge Mannschaft, angeführt von Spielmacher Xavi und Torwart Iker Casillas, schirmte sich ab von den Besessenheiten des gestrigen Spaniens. Sie sind einfache, höfliche Sportler, und nichts anderes wollen sie sein. Auch deshalb wurden sie eine einzigartige, höfliche Elf.

Um Mitternacht kamen sie am Sonntag in den Vorraum des Ernst-Happel-Stadions, wo die Medien der Welt schwitzend auf Worte der Europameister warteten. Sie sangen aber nur etwas vor. In einer Polonaise, angeführt von Kapitän Casillas im Trikot des Deutschen Christoph Metzelder, zogen sie vorbei, grölten "Eviva España" und verschwanden wieder für eine Stunde in ihrer Umkleidekabine.

Stürmer David Villa drückte noch einem verdutzen Reporter eine Champagnerflasche in die Hand. "Feiern!", befahl Villa. Eine Stunde später platzte er in eine Radio-Liveschaltung mit Casillas. Villa überbrachte die Nachricht von der Krönung des Torwarts: "Iker der Erste von Spanien!", schrie der kleine Stürmer. Andere in seiner Situation wären ein wenig traurig gewesen, als bester Torschütze der EM mit vier Toren hatte er das große Finale wegen eines Muskelfaserrisses verpasst. Villa aber war der glücklichste. Das sagt etwas über das Miteinander dieser Mannschaft.

Etwas Kurioses ist passiert. Während die Politik und die Medien in Spanien sich immer mehr wie Stämme aufführen, die sich in archaischen Konflikten suhlen, rechts gegen links, Katalanen gegen Spanier gegen Basken, liefert der Fußball, der lange für die modernen Stammeskriege stand, mit der Nationalmannschaft nun das schönste Beispiel für einen souveränen, selbstverständlichen Umgang mit den spanischen Unterschieden.

Im Stadion in Wien waren auch baskische Fans im Trikot von Athletic Bilbao, und als Carles Puyol, der Gladiator in der Abwehr, gefragt wurde, was er und die anderen fünf Katalanen dem Team geben würden, redete er lieber über "das Sushi-Team". Das hätte er mit Andrés Iniesta gegründet, und immer mehr Mitspieler seien in Österreich dann mit Japanisch essen gegangen, "ein Schlüssel des Erfolgs: das Sushi-Team", sagte Puyol.

Den Eindruck, den sie in Österreich machten, wird man nicht vergessen. Mit ihrem Kombinationsspiel leuchteten sie den Fußball von seinen schönsten Seiten aus. Sie haben nur einen Stil, das ewige Passspiel. Aber sie haben gelernt, es auf unterschiedlichste Weise einzusetzen. Mal, im Halbfinale gegen Russland, wurde daraus überbordender Angriffsfußball; mal, im Viertelfinale gegen Italien, passten sie nur defensiv hin und her. Im Finale gegen Deutschland ließen sie den Ball anmutig im hinteren Mittelfeld laufen, um dann plötzlich immer wieder mit einem Steilpass profane Konter zu starten. Für all diejenigen, die unter Berufung auf Griechenlands EM-Sieg vor vier Jahren in Portugal immer behaupten, im Fußball sei alles möglich, war Spaniens Sieg eine Antwort: Meistens gewinnt auch im Fußball einfach der Beste.

Doch als sie in die Nacht verschwanden, blieb auch die Ahnung zurück, dass das Beste schon vorbei ist. Ihr Stil wird keine Nachahmer finden. Zu schwierig, zu riskant ist das permanente Passspiel. Und ihr eigener Zauber, so ist zu befürchten, wird zumindest Schrammen abbekommen. Trainer Luis Aragonés, der schrullig genug war, ein Mittelfeld mit fünf kleinen Ballspielern aufzufüllen, geht; mit 69 Jahren zu Fenerbahce Istanbul. Vicente del Bosque, ein neuer Trainer mit neuen Ideen, kommt. Jeder neue Gedanke wird diese Elf ein wenig von ihrer Einzigartigkeit entfernen.

Das Spanien von Luis Aragonés war nicht die Zukunft des Fußballs, sondern bloß eine Sehnsucht, die sich einmal auf wundersame Art erfüllt hat. Sanft wie ein Hauch wird sie entgleiten, und man wird sich schon bald fragen: War es wirklich wahr?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.