■ Spanien: Mitglieder von Baskenpartei zu Haftstrafen verurteilt: Keine friedensstiftende Maßnahme
Jahrelang hat Spaniens Justiz weggeschaut, wenn es um die „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ ging. Herri Batasuna (HB), die ETA-nahe Wahlkoalition, konnte den bewaffneten Kampf für ein unabhängiges Baskenland öffentlich unterstützen. Das hat sich geändert. 23 Mitglieder des HB-Vorstands wurden gestern für die geplante Verbreitung eines ETA-Videos zu jeweils sieben Jahren Haft verurteilt. „Der Rechtsstaat hat seine Stärke bewiesen“, jubeln viele im Lande. Das mag richtig sein. Ob und wem es nützt, steht auf einem anderen Blatt.
Sicherlich, der Tatverdacht, dessen die HB-Vorstandsmitglieder angeklagt waren, hätte zum Beispiel in Deutschland gereicht, um für immer hinter Gitter zu verschwinden. Doch Spanien ist nicht Deutschland. Man weiß, daß ein bewaffneter Konflikt nicht alleine mit Repression beendet werden kann. Das Unabhängigkeitsstreben der Basken ist so tief in der Gesellschaft verankert, daß die ETA trotz härtester Schläge seit knapp 40 Jahren keine Probleme hat, Nachwuchs zu rekrutieren. Und HB ist nicht irgendeine Splittergruppe, sondern die drittstärkste Partei in der rebellischen Nordregion. Wenn deren Führungsmitglieder nun für ein Video zu hohen Haftstrafen verurteilt werden, der zudem eine Gesprächslösung im Konflikt mit seinen über 700 Toten anbietet, schafft das im Baskenland nur „Märtyrer des Zentralstaates“ und heizt damit die Auseinandersetzung und die Gewalt weiter an. Auch wenn das Urteil fast überall in Spanien auf Zustimmung stößt.
So mancher mag mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, daß diejenigen, die während der Entführung und anschließenden Ermordung des konservativen Gemeinderats Miguel Ángel Blanco keinerlei kritischen Worte gegenüber der ETA fanden, nun für ihr positives Verhältnis zur Gewalt bestraft werden. Doch wäre es nicht viel besser, den politischen Arm der ETA frei reden zu lassen, um deren harte Linie der Kritik der baskischen Gesellschaft auszusetzen? Würde HB sich damit nicht mittelfristig stärker isolieren als durch noch so harte Repression? Das sind Fragen, die die Massendemonstrationen gegen die ETA im letzten Sommer nahelegen. Die Richter und viele, die ihr Urteil jetzt beklatschen, haben leider nicht so weit gedacht.
Das Urteil ist da – die Probleme bestehen weiter, schlimmer noch, sie verschärfen sich. Wer das nicht glaubt, dem sei in den nächsten Tagen ein Blick auf Straßen der baskischen Städte und Dörfer empfohlen. Reiner Wandler
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