■ Spätkauf: Engelssucht
Unter den vielen Engelbüchern, die sich um Weihnachten auf den Tischen der Buchhandlungen stapeln, ist Michel Serres „Die Legende der Engel“, 1995 bei Insel für 98 Mark erschienen, noch immer das verblüffendste Bilderbuch. Ich habe es zwar nie geschafft, den Text, der als Dialog zwischen zwei Experten des Fliegens, einem Inspizienten der Air France und einer Ärztin des Flughafenkrankenhauses, geschrieben ist, von vorne bis hinten durchzulesen; doch schon allein das wilde Assoziieren der Illustrationen und Bildunterschriften verführt zum Weiterblättern und Wiederhervorholen. Windallegorien Botticellis, Fresken von Giotto, Engel der Verkündigung und die gestürzten Engel Brueghels, Flugzeuge, Drachenflieger, Satellitenaufnahmen von Gewitterstürmen, Astronauten, Schaltpläne von Kassettenrekordern und Mikroprozessoren, Fernseher, Autobahnnetze: Alles, was nur irgendwie einer Verbindung dient und mediale Eigenschaften hat, wird in diese Hochzeit von Mythologie und Technologie eingespeist. Sie mündet in eine große Apotheose der Kommunikation, die die Medientheorie plötzlich als älteste Wissenschaft der Welt erscheinen läßt. „Lebewesen und tote Dinge tönen und klingen unablässig; ohne dieses Netz milliardenfach in sich verschlungener Beziehungen gäbe es gar keine Welt.“ In jeder Übermittlung von Botschaften Engel am Werk zu sehen, scheint dann die selbstverständlichste Sache der Welt, und irgendwann hält man im Rausch der Spekulation die Postboten gar für die Vorreiter der Postmoderne. Serres Denken in Bildern steckt an: Über dieses Buch will man sich sofort mit jemandem unterhalten; lesen kann man es später. Katrin Bettina Müller
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