Soziologin über Kirche und Beziehungen: „Familie neu erfinden“
Die Soziologin Insa Schöningh hat ein umstrittenes Papier der Evangelischen Kirche zu neuen Familienformen zu verantworten. Ein Gespräch.
taz: Frau Schöningh, was ist aus Ihrer Sicht das Neue an dem Orientierungspapier der Evangelischen Kirche (EKD) zum Thema Familien?
Insa Schöningh: Das Neue ist, dass wir alle Familienformen, in denen Verantwortung übernommen wird, wertschätzen und das auch ausdrücken.
Ist das nun ein „Kurswechsel“, wie Ihre Kollegin in der Kommission, die Soziologin Ute Gerhard, meint? Der Präses der EKD, Nikolaus Schneider, sagt ja das Gegenteil.
Ich würde es eher als Weiterentwicklung bezeichnen. Bisher wurde alles andere zwar auch akzeptiert, aber die wirklich „richtige“ Familie, die gab es dann doch nur mit Ehe. Das sagt die Evangelische Kirche nun so nicht mehr. Sie erkennt an, dass es auch andere Familien gibt, die nicht auf die Ehe gegründet sind, und gleichwohl gut für betreuungsbedürftige Familienangehörige sorgen können.
Jürgen Schmude, der ehemalige Präses des EKD, hat kritisiert, dass die Ehe für die Protestanten nun kein Leitbild mehr sei.
Die Ehe bleibt ein Leitbild. Ehen zerbrechen nicht so schnell wie andere Partnerschaften und das ist für Kinder zum Beispiel von Vorteil.
56, ist Bundesgeschäftsführerin der Ev. Aktionsgemeinschaft für Familienfragen. Sie war Mitglied der Kommission, die das Orientierungspapier verfasst hat.
„Zwischen Autonomie und Angewiesenheit: Familie als verlässliche Gemeinschaft stärken“, heißt ein Orientierungspapier, das der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei einer Kommission unter der Leitung der Soziologin Ute Gerhard in Auftrag gab. Das Papier betont die Vielfalt der Familienformen und bezieht auch unverheiratete und homosexuelle Paare mit ein.
Konservative Bischöfe kritisierten, das Papier relativiere das Leitbild der Ehe. Der Ökumene-Bischof Friedrich Weber sah eine Belastung für die Beziehungen zur katholischen Kirche. Der Paderborner Erzbischhof Hans-Josef Becker sagte, es könne nicht mehr von einem „einheitlichen Ehe- und Familienverständnis“ der Kirchen ausgegangen werden. (oes)
Aber Sie schreiben auch, dass in konfliktbeladenen Ehen die Trennung besser sein kann als das Zusammenbleiben. Das vertreten Ihre Familienberatungen seit jeher. Ist die EKD da einfach ehrlicher geworden?
Für mich ist es eher ein Verschieben des Fokus‘ auf die Kinder. Hinter dem Leitbild Ehe darf das Kindeswohl nicht mehr verschwinden. Dem Kindeswohl dient es nicht, wenn Eltern, die sehr zerstritten sind, zusammen bleiben. Das ist wissenschaftlich eindeutig belegt. Und wir können nicht das normative Bild der Ehe über den Menschen stellen.
Ihre Kritiker finden es theologisch etwas dünn, nun noch die letzte Textstelle in der Bibel finden zu wollen, die etwas über Zärtlichkeit zwischen Männern sagt, um damit die Homoehe zu legitimieren.
Das überlasse ich gern den Theologen. Aber was auch ich in der Bibel finde, ist die Wertschätzung von Verlässlichkeit, Fürsorge und Bindung. Und diese Werte sehen wir eben auch bei nichtehelichen Beziehungen und bei homosexuellen Paaren.
Protestantische Familien tragen ja das Erbe Martin Luthers mit sich: eine stark traditionelle Arbeitsteilung. Ist dieses Erbe noch zu präsent?
De fakto müssen sich alle Familien heute neu erfinden. Das traditionelle Familienverständnis hilft uns da nicht weiter. Auch da kann man biblisch argumentieren: Alle Menschen sind für Jesus gleich. Das nehmen wir auf und sagen: Wir stellen uns eine partnerschaftliche Familie vor.
Es sieht so aus, als wären die Kritiker ihres Vorstoßes ältere Männer. Verteidigen die noch ihre alten Privilegien?
Die Kritiker sind eher Männer. Die Frauen äußern sich, etwa in den Zuschriften, sehr viel zustimmender.
Ist das ein Geschlechterkampf?
Ja, und der wird auf dem Feld der Familie ausgetragen. Das ist ja nicht neu, das hat die Frauenbewegung schon getan.
Jetzt kommen also ein paar Feministinnen und mischen die EKD auf.
Naja, die Themen sind nun nicht gerade revolutionär. Vieles ist doch bereits familienpolitischer Mainstream.
Welche praktischen Konsequenzen sollte die EKD nun aus diesem Papier ziehen?
Zuerst trägt diese Veröffentlichung zur Klarheit bei: So glauben etwa viele Alleinerziehende, sie könnten ihre Kinder nicht taufen lassen, weil sie nicht verheiratet sind. Das ist ein Irrtum. Nun sagt die Kirche klar und deutlich: Ihr seid willkommen. Außerdem ist sie ja in Teilen nicht als familienfreundlicher Arbeitgeber bekannt. Kirchliche Einrichtungen könnten Vereinbarungen abschließen, in denen Zeit für Pflege gewährt wird. Das ist nach dem Familienpflegezeitgesetz möglich. Es wäre schön, wenn die Kirche dabei voranginge und nicht hinterherhinkte.
Leser*innenkommentare
Rosebrock
Gast
Also, ich bin Frau - und kritisiere das "Familienpapier". Allerdings deswegen, weil es nicht die Bibel, sondern den "Zeitgeist" als Grundlage hat.
Meint meine Kirche wirklich, dass Gott, der Schöpfer und Erhalter der Welt, es sich gefallen lässt, wenn man aus der Bibel einfach die "unpassenden" Passagen weglässt und sich ein "Göttlein" nach eigenem Geschmack zurechtzimmert?
Herr, erbarme Dich. Und stärke die Menschen, die ihr Leben nach Deinem Wort ausrichten und es predigen, mit Deiner Freude, Treue und Liebe!
Therese
Gast
Die Menschen suchen Orientierung,Sinn und Halt! Die Familie bestand schon immer aus Mann, Frau und Kind(ern). Das hat sich über Jahrtausende bewährt Wenn sich die evangelische Kirche weiter an der Meinung einer Minderheit, am Gender-Wahn oder oder anderer gesellschaftlichen Strömungen orientiert, die mit den Grundwerten des Chistentums nichts mehr zu tun haben, wird sie zu Grunde gehen.
Wie sagte doch ein weiser Mann namens Gamaliel :
" Ist dies Vorhaben oder dies Werk von Menschen, so wird's untergehen; ist es aber von Gott, so könnt ihr sie nicht vernichten - damit ihr nicht dasteht als solche, die gegen Gott streiten wollen " (Apg 5,38)
Da orientiert sich die evangelche Kirche an Menschen und wird kenen Bestand haben.
Gehooo
Gast
Der Beitrag von Isa Schoeningh ist ein grobes Foul. Was sie vorträgt ist nämlich bei Licht betrachtet ein sexistisches Argument: Das Phänomen des Widerspruchs gegen die EKD-Orientierungshilfe wird unabhängig von seinem Inhalt auf das Geschlecht zurückgeführt. Typisch Männer, verteidigen ihre Privilegien. Dabei wurden die Ausführungen der Orientierungshilfe zur Geschlechtergerechtigkeit m.W. von keinem einzigen Beitrag kritisiert! Der beschriebene Wandel des Rollenverständnisses wurde von keinem der Kritiker zurückgewiesen noch in Frage gestellt! Frau Schoeningh demonstriert mit dieser sexistischen Interpretation der Debatte nur, dass sie offensichtlich bis jetzt den Grund nicht versteht, warum das Papier so stark kritisiert wird. Das wiederum hat mit Mann- oder Frausein rein gar nichts zu tun, sondern mit genau jenem Mangel an theologischer Kompetenz, der sich wie ein roter Faden durch die gesamte Orientierungshilfe zieht. Insofern: Quot erat demonstrandum!
Hans
Gast
Heiliges Spaghettimonster hilf. Die Protestanten protestieren, wollen die Lutheraner etwa reformieren???
@Schmidt Georg:
10.000 Jahre??? Erstens, vor 10.000 Jahren gab es nach der kreationistischen Schöpfungslehre die Menschen noch nicht. Zweitens, wenn man von dieser Schwachsinns-Theorie absieht wissen wir natürlich genau, dass in der urgeschichte das Gesellschafts-/Familienbild schon so war wie heute.
@nemorino:
Die katholische Kirche war schon immer das Bollwerk gegen den Fortschritt. Ich finde auch, dass die Sonne sich weiterhin um die Erde drehen sollte.
Aber bedenken Sie, im Vatikan soll es eine Gay-Lobby geben. Wer weiß, zu was die Fähig ist. Wegen denen ist wahrscheinlich auch der Imperator zurückgetreten.
Jovirak
Gast
Geschlechterkampf? Das ist aber ein böses Foulspiel, Frau Schöningh. Ist das sowas wie "Der Mann schweige in der Gemeinde"? Riecht so'n bißchen nach Sexismus von der anderen Seite. Wenn nämlich die Argumente ausgehen, dann schiebt man's auf das Geschlecht. Wenn schon Geschlechtergerechtigkeit, dann aber bitte von beiden Seiten!
nemorino
Gast
Die evangelische Kirche ist dabei, ihre Funktion zu verlieren und sich aufzulösen. Ihre Unterwerfung unter den rot-grünen Zeitgeist ist nachgerade grotesk. Ihr Personal hat jeden Bezug zur Transzendenz zugunsten weltlicher Idole aufgegeben. Gebe Gott, dass die katholische Kirche diesen Weg nicht geht und dem Zeitgeist trotzt!
Schmidt Georg
Gast
das Problem: FRauen haben einfach zuviel Zeit-im Haushalt werkeln die Maschinen, da sitzt man nun und hat lauter spassige Ideen-was nun ungefähr 10.000 Jahre funktioniert hat-das muss jetzt nei geformt werden-aber ok, in der ev Kirche ist Moral in die Rumpelkammer getan worden, die eine ist geschieden, der andere lebt mit Zweitfaru in wilder Ehe, also, lasst gut sein-solang Ihr nicht das normale Volk damit belästigt !
Aufklärung verteidigen
Gast
Ich finde es ja in Ordnung, daß nach der Selbstauflösung der evangelischen Kirche in Deutschland eine neue Religion gegründet wird in der alles den Wünschen der Bewegung passend gemacht wird. Gender, Klima, Homo - neue Dreifaltigkeit. Warum nicht? Wir haben Religionsfreiheit. Was man aber entschieden bekämpfen muß ist die Kreuzzugmentalität dieser neuen Religion in der nun alle Menschen dieser "einzig wahren" Religion unterworfen werden sollen. Auch wenn in Redaktionsstuben der alten Medien die religiösen Eiferer klar die Oberhand haben. Ich will freidenkender, aufgeklärter Agnostiker wissenschaftlicher Prägung bei freier Rede und mit den Grundrechten unserer Verfassung bleiben.