Soziologie des Autorengesprächs: Die Regeln des gepflegten Plauderns
Wer spricht auf der Frankfurter Buchmesse mit wem? Und wie verläuft so ein von den Medien veranstaltetes Autorengespräch?
Die Veranstaltungsform des Autorengesprächs auf der Buchmesse ist literatursoziologisch interessant, vielleicht handelt es sich sogar um ein eigenes Genre. Veranstaltet werden diese Gespräche nicht von den Buchverlagen, sondern von den Medien: Zeitungen, Zeitschriften und Fernsehsendern. Das bedingt ihre besondere Form.
Allzu kritisch darf der moderierende Journalist nicht mit dem jeweiligen Autor umgehen, sonst hätte man ihn ja gar nicht einzuladen brauchen. Allzu unkritisch darf das Gespräch aber auch nicht sein. So ganz fanmäßig offen, wie das die Konzernbuchverlage im Umgang mit ihren cash cows Nele Neuhaus oder Simon Beckett auf der Messe machen, will man im anspruchsvollen Segment schließlich nicht dastehen.
Heraus kommen oft Gespräche im Modus des professionellen Geplauders. Der Autor, die Autorin bekommt die Gelegenheit, die Grundzüge seines Buchs vorzustellen. Der Moderator signalisiert mit Nachfragen gehobenes Interesse. Die Zuschauer haben die Stimme des Autors gehört, sein Gesicht gesehen, ein, zwei Einblicke in das Buch bekommen – und fertig.
Beim FAZ-Stand kann man sich als Zuschauer zugleich in den Habitus akademischer Debatten einfühlen. Wenn die geschätzten Kollegen Patrick Bahners oder Lorenz Jäger das Mikrofon führen, mag es geschehen, dass die Fragen so lang ausfallen, dass für Antworten nicht mehr allzu viel Zeit bleibt. Es kommt aber auch zu ruhigen Gesprächen. Als Bov Bjerk eine Geschichte aus seinem neuen Band, „Die Modernisierung meiner Mutter“, vorlas, hörte man sogar inmitten des Messetrubels zu.
Viele der Gespräche sind gut vorbereitet. Die Redaktionen von FAZ, SZ, Spiegel und Welt nehmen die Auftritte ernst, selbst wenn viele Messebesucher ihnen nur im Vorübergehen zuhören (die taz-Lesungen finden auf der Leseinsel der unabhängigen Verlage statt). Von Kollegen hört man, dass inzwischen alle Verlagsleitungen den Wert der Liveveranstaltungen als Werbemaßnahme erkannt haben. Die Leser direkt treffen! Die eigene Kompetenz im Gespräch beweisen! Präsenz zeigen! Damit – und gar nicht unbedingt mehr mit Berichten von der Messe – verdient man sich als Kulturjournalist inzwischen seine Dienstreise nach Frankfurt.
Erkennbares Interesse an Autoren
Auch der Spiegel, vor einigen Jahren noch ganz der Messe ferngeblieben, dreht wieder auf. Er hat inzwischen auch einen literaturinteressierten Chefredakteur. Die Gespräche mit Wolf Biermann, Elif Shafak und Jarett Kobek (dessen Roman „Ich hasse dieses Internet“ viel diskutiert wird) moderiert Klaus Brinkbäumer selbst, mit erkennbarem Interesse an den Autoren.
Es kann bei dem Autoren-Journalisten-Doppel, das den Kern des Buchmessengesprächs ausmacht, aber auch Hürden geben. In vielen Fällen präsentiert der Journalist den Autor, den er selbst in der Zeitung besprochen hat; so weit, so gut. Was aber, wenn die Autorin verrissen oder auf andere Weise stark angegangen wurde, wie das Zeit-Feuilletonchef Adam Soboczynski mit der Friedenspreisträgerin Carolin Emcke gemacht hat? Dann muss eben der Kollege Ijoma Mangold die heikle Aufgabe meistern, weder Carolin Emcke noch die eigene Zeitung bloßzustellen.
Dieses Jahr stellte sich auch sonst ein kniffliges Problem. Auf fast allen Veranstaltungsorten waren Gespräche mit dem Buchpreisträger blind gebucht, also ohne zu wissen, wer das sein würde. Nun gefällt Bodo Kirchhoffs Novelle „Widerfahrnis“, die den Preis dann gewann, durchaus nicht jedem, was aber während des Gesprächs meist sorgsam umschifft wurde.
Eine lustige Sache gab es bei Kirchhoff noch. Im Gespräch mit der SZ wiederholte er den kulturkritischen Gedanken aus dem Buch, dass es inzwischen mehr Schreibende als Lesende gebe. Inmitten der Messe, die vor Lesern mal wieder geradezu platzt, hörte sich das ziemlich realitätsfern an.
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