Sozialpädagogin über Fremdenhass: "Der deutsche Mann hat hart zu sein"
Am Montag wird der Dresdner Marwa-Prozess fortgesetzt, der Täter ist Russlanddeutscher. Die Sozialpädagogin Gabriele Feyler über Stereotype von Deutschen und Spätaussiedler.
taz: Frau Feyler, was stört Sie am Prozess gegen den Mörder von Marwa El Sherbini?
Gabriele Feyler: Nur die Panzerglasscheibe und der Sicherheitsaufwand. Sie mögen nötig sein, aber sie hindern uns mental auch daran, auf die grundsätzlichen Probleme des Zusammenlebens mit anderen, mit Fremden einzugehen.
Das kann nun einmal ein Strafprozess wie dieser nicht leisten.
52 Jahre alt, Sozialarbeiterin in Sachsen. Sie war Caritasdirektorin in Moskau und baut derzeit an einem interkulturellen Mehrgenerationenhaus.
Wir reduzieren das Rassismusproblem auf die Bestrafung einer einzelnen Tat. Aber sie geschah in einer Stimmung, die auch mit unserer Unkenntnis der Geschichte der Russlanddeutschen und ihrer Gewalterfahrung zu tun hat. In der Schuld des Angeklagten steckt auch ein Stückchen Schuld von uns. Wir können als Bürger nicht sagen, wenn der Mann bestraft ist und lebenslang einsitzt, dann haben wir unseren Frieden.
Ist die Definition des Deutschtums nach dem Grundgesetz nicht absurd?
Hier sind Spätaussiedler nur die ungeliebten "Russen". Sie werden hier behandelt wie Ausländer. Und nicht nur als solche haben sie Angst, Fehler zu machen wie andere Migranten oder Gäste. Sie bleiben daher lieber unter sich. In Deutschland kann man sich Fehler oder politische Inkorrektheit besonders wenig leisten und wird schnell stigmatisiert.
Mit welchen illusorischen Erwartungen kommen Russlanddeutsche hierher?
Es gibt nicht "die" Russlanddeutschen, sondern nur Individuen. Viele sind mit Sehnsucht, mit einem verrückten Bild nach Deutschland gekommen. Sie haben mit solchen Hoffnungen und Träumen Repressalien und Deportationen überstanden. Nun treffen sie hier auf enge Menschen und werden be- und verurteilt. Daneben gibt es natürlich auch Wirtschaftsflüchtlinge, die auch schon mit Hartz IV zufrieden sind. Andere, besonders Frauen, haben schnell Deutsch gelernt und sich qualifiziert. Sie arbeiten trotzdem unter Tarif, weil sie nicht als "die Russen" auffallen wollen.
Sind junge Männer besonders labil?
Es sind nicht nur junge Männer, eher solche zwischen 40 und 50, die frustriert über das Erscheinungsbild deutscher Männer sind. Der deutsche Mann hat pünktlich, ordentlich und vor allem stark und hart zu sein. Was sie erleben, sind nach ihrem Empfinden Weicheier und Warmduscher.
… die eigentlich ihr Volk von Ausländern und Fremdrassigen rein zu halten hätten?
Ja, aber da spielen eher Erfahrungen aus Russland hinein, das sie mehr geprägt hat, als sie sich bewusst sind. Ich habe mich in Moskau auch gefragt, wie ein Afrikaner im Beisein von Polizisten so zusammengeschlagen werden kann, dass er um sein Leben fürchten muss.
Sie versuchen auch hier, mit solchen alten Bildern aufzuräumen.
Migranten wie Spätaussiedler zwingen uns, in den eigenen Spiegel zu schauen. Wenn wir unserer deutschen Identität gewisser wären, könnten wir lockerer mit "dem Fremden" umgehen. Sind wir das nicht, kommen über die Angst Hass und Aggressionen auf. Und wir sind emotionale Analphabeten, die damit wenig umgehen können.
Das klingt ein bisschen volkspädagogisch.
Mag sein, aber konkrete, umsetzbare Schritte sind auch schwierig zu gehen. Kann man in einer Stadt nur friedlich zusammenleben, indem man alle Ausländer rausschmeißt? Darüber muss es einen öffentlichen Diskurs geben, aber damit kann man auch in kleinen Kreisen anfangen. Ich bringe Christen und Muslime zusammen. Da wird es konkret, da entdeckt man den anderen als Person. Wir müssen die Milieus mischen, uns auf die anderen einlassen. Anliegen von Sozialtherapie ist nicht der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, sondern die Beförderung von Fremdenfreundlichkeit.
Die "Therapie sociale" verfolgt noch einen anderen Ansatz?
Ja, sie setzt darauf, dass bekannte Verantwortungsträger, die "VIPs", mutig und ehrlich das Problem benennen. Solche Offenheit pflanzt sich fort.
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