: Sozialismus ist nun in treuen Händen
■ Bonn: Wir wollen alles zurückhaben! / Das Wort „Sozialismus“ ist nun aus der Verfassung gestrichen, die Reprivatisierung beschlossene Sache / Die im Treuhandgesetz genannten Kreditmöglichkeiten führen zur faktischen Eigentumsübertragung an das westdeutsche Kapital
Berlin (dpa/taz) - Während das DDR-Parlament am Wochenende die Weichen auf Privatisierung des Volkseigentums stellte, heißt es aus Bonn: Wir wollen alles zurückhaben! Die Volkskammer verabschiedete das Treuhandgesetz, nachdem sie vorher mit Zweidrittelmehrheit das Wort „Sozialismus“ aus der Verfassung gestrichen hatte. Das Gesetz regelt die Privatisierung und Reorganisation des Volkseigentums. Am Montagmorgen setzte Staatssekretär Klaus Kinkel vom Bonner Justizministerium nach: Die DDR-Regierung sollte schleunigst Voraussetzungen für die Rückerstattung des seit 1949 enteigneten Eigentums schaffen. Die Fraktionen der DDR -Regierungskoalition meldeten sich in der Debatte erst gar nicht mehr zu Wort. Der Kerngedanke des Treuhandgesetzes besteht darin, so schnell und so weitgehend wie möglich das volkseigene Vermögen zu privatisieren, die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmer herzustellen und damit die Arbeitsplätze zu sichern. Die Treuhandgesellschaft kann in der BRD in diesem Jahr bis zu sieben Milliarden und 1991 zehn Milliarden DM als Kredite und Umstrukturierungshilfen aufnehmen. Nach Angaben des DDR-Finanzministeriums benötigen die Betriebe aber nach der Währungsunion am 1. Juli monatlich fünf bis sechs Milliarden DM neue Kredite allein für die Löhne.
Der PDS-Abgeordnete Professor Klaus Steinitz erklärte in der Debatte, seine Partei wolle verhindern, daß ein Hauptteil des Volksvermögens für die Sanierung eines nicht enden wollenden Lochs im Staatshaushalt der DDR verwendet wird. Die im Gesetz genannten Kreditmöglichkeiten führten zu einer faktischen Eigentumsübertragung an das westdeutsche Kapital.
Hanns-Ulrich Meisel vom Bündnis 90/Grüne meinte, in der DDR sei das Volkseigentum „40 Jahre lang veruntreut“ worden. Seine Fraktion habe bei dem Gesetzentwurf Nachbesserungen erreicht, die mithelfen, das Staatseigentum im Sinne des Volkes zu verwalten.
Bisher wurden in der DDR 700 der 8.000 volkseigenen Betriebe privatisiert. Zu einem späteren Zeitpunkt soll den Sparern für den bei der Währungsumstellung am 2.Juli reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am bisherigen Volkseigentum eingeräumt werden. Auch Gemeinden, Städte, Kreise und Länder können Volkseigene Betriebe ganz oder teilweise erwerben. Dem Bonner Staatssekretär Kinkel geht das alles in die falsche Richtung: Seiner Meinung nach soll möglichst viel enteignetes Vermögen an die früheren Besitzer zurückerstattet werden. Ausgenommen sind lediglich Enteignungen vor Gründung der DDR: rund 7.000 Betriebe fallen darunter und aller Grundbesitz über 100 Hektar sowie Grundbesitz aus Nazi-Eigentum.
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