■ Soundcheck: Ramblin' Jeffrey Lee / American Music Club
Gehört: Ramblin' Jeffrey Lee. Offene Geheimnisse gibt es tonnenweise im Musikgeschäft. Eines betrifft den Gun Club, dessen Schicksal von Gründer Jeffrey Lee Pierce selbst besiegelt wurde. Nämlich in dem Moment, als er sich untrüglich von seiner Liebe betrogen sah. Fies.
Kein Wunder, daß der Mann den Blues nun so richtig in den Knochen hat. Jetzt braucht er Männer auf der Bühne, zum Beispiel Cypress Grove und Willie Love. Das Knust war so voll wie die U-Bahn in der rushhour, dementsprechend die Stimmung. Ein Fotograf wurde ob seines Strebens in Bühnennähe arg beschimpft, und als ein grober Kerl sich mittels Treppen-diving Zutritt verschaffte, drohte diese Stimmung in eine gar nicht so bluesige umzukippen. Doch dann erste Gitarrenklänge. Allgemein erstauntes Erstarren, niemand sah sie kommen. Tragisch auch deshalb, weil man sie von jetzt an den ganzen Abend nicht mehr zu sehen bekommen würde. Es standen ja alle. Die Musiker saßen. Bei einer Bühne, so hoch wie ein Kantstein, irgendwie blöd. „Da läuft ein Band“, grinst mir ein Freund ins Ohr; „Nein“, sage ich, „ich sah Jeffreys Mütze.“ Ein Ziegenbart neben mir beginnt zu den traurigen Klängen lustig auf den Zehen zu wippern. Den Rhythmus klopft er seiner Begleiterin auf die Schulter, mit der flachen Hand. Sie schaut bewegt in ihrer adidas-Jacke. Ein anderer Freund raunt mir so etwas wie: „No fun, let's go“ zu. Ich sage „ja“, und werde vielleicht nie erfahren, ob Jeffrey auf einer Getränkekiste aus Lynchburg-Tennessee saß. Na ja, was soll's.
osb/Foto: JMS
Heute abend: American Music Club. Als Motto für das Wirken des AMC böte sich neuerdings „Wimps of the world unite and take over“ an, was aus wenigstens zwei Gründen erwogen werden kann. Zum einen kommt das mittlerweile inhaltlich leider immer besser hin. Zum anderen verweist der leicht abgewandelte Smiths-Songtitel auf eben deren ehemaligen Sänger, Morrissey, der als role-model für AMC-Chef Mark Eitzel zunehmend an Bedeutung gewinnt. Wiederum leider, denn der Wandel vom glaubhaft Schwermütigen zum mediengerechten Wimmerlappen ist eine bedenkliche Entwicklung. Täuscht uns Eitzel seit fast zehn Jahren mit konstruierten Depressionen? Zumindest auf dem neuesten AMC-Album San Francisco, Eitzels Wahlheimat, geriet ihm der Urban blues eindeutig zu MTV-kompatibel. Verrat? Lügen inzwischen auch schon Tränen? Steht ein Duett mit Sinead O'Connor ins Haus? Es wäre schön, würde uns Eitzel heute eines Besseren belehren.
cleg
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Außerdem: Auf der Zeit- und Raumachse gleichermaßen bewandert verbindet Oregon seit vielen Jahren Weltmusik mit Jazz und Kammermusik. Ralph Towner, Paul McCnadless, Glenn Moore und Trilok Gurtu finden dabei stets verschlungene Wege zwischen komplexen Formen und sinnlichen Linien (Fabrik, 21 Uhr).
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