■ Soundcheck: Niedecken & Leopardefellband / Konstantin Wecker
Gehört: Niedecken & Leopardefellband. Publikum: ehemalige Schülerbandsänger in Jeansjacke, Jeanshemd und alten BAP-T-Shirts, johlt unablässig: „Huhu“. Niedecken: Menschenrechtshawaiihemd und Benefizkonzert-Schellenkranz, ruft: „Das ist ein Rock-'n'-Roll-Abend.“ Leopardefellband: sehr tolerant, weil Ossi am Saxophon und Quotenschwarzer am Baß, Gitarrist sieht aus wie Springsteen, ist aber okay, weil er Niedecken an der Gitarre verhindert. Armer Bob Dylan. Zuviel Dylan will die Menge nicht, schnell eine BAP-Nummer, Hände wieder oben, alle. Es ist sicher gut gemeint. Bürgertum schwitzt, macht Stimmung. Gitarrensoli sind lächerliche Vorgänge. Drummer mit Sonnenbrille, das ist Rock. Niedecken erklärt nun Toleranz mit einem BAP-Lied, es soll so sein. Präsentiert von Delta-Radio, ach so. Urks, „Sooner Or Later“ völlig versaut. Jede Wette: Der Großteil des Publikums hatte früher Geschichte und Physik-Leistungskurs. Arschlöcher, Finger weg von „Happy“, auch noch Stones auf Kölsch, das ist schlimm. Hey, Hey, Hey. Gutes BAP-Konzert. Scheiß Rock 'n' Roll, Scheiß Zugaben, Scheiß Journalismus, Studenten. Alles lächelt ungläubig, feiert ein finales „verdamp lang her“. Millionste Zugabe, Hamburger Musiker greifen ein, Vater und Sohn Kravetz und – ich schwöre – Lindenberg am Schlagzeug. Party. Glückliche Gesichter. Bis zum Schluß ausgehalten. Respekt.
Benjamin v. Stuckrad-Barre
Gehört: Konstantin Wecker. Kaffee und Milch, Frühling und Knospen, Konstantin Wecker und die Fabrik: Es gibt Sachen, die einfach zueinander passen. Fast vier Stunden lang vereinnahmte der Münchner Entertainer am Mittwoch abend die prallgefüllte Altonaer Veranstaltungshalle, begeisterte seine mit ihm in Ehren angegrauten Fans mit älteren Mitsing-Versen und leisen Tönen über Liebe und Tod von seinem aktuellen Album „Wenn Du fort bist“. Der begnadete Selbstdarsteller präsentierte vor allem poetische Chansons, mit Jazz-Improvisationen verziert und innerlichen (nie weinerlichen) Texten unterlegt. Doch Wecker wäre nicht Wecker ohne gezielte (und vom Publikum erwartete) Bosheiten gegen deutsche Bieder-Männer und deutschen Biedermaier, aber auch – mit selbstironisch gebrochenen Lebemann-Allüren vorgetragen – gegen jede Form der Lust-Losigkeit und eine feministisch angehauchte sexual correctness. Als das schweißdurchtränkte Hemd nach über anderthalb Stunden Zugaben am kolossalen Körper klebte, war sich der Münchner noch lange nicht genug.
Marco Carini
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