■ Soundcheck: das popkultuelle Quintett im Mojo-Club
Gehört: das popkulturelle Quintett im Mojo-Club. Um ein „Sittenbild“ ihrer Generation zu modellieren, hätten sich Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Benjamin von Stuckrad-Barre und Alexander von Schönburg vielleicht besser in der Jugendherberge in Bielefeld einquartieren sollen als im Berliner Hotel Adlon. Aber vermutlich hätte diese Maßnahme ihren Menschenhass nur torpediert, und sie würden im Mojo-Club nicht mal mehr ein Publikum bedienen, das sie „verachten“, sondern die Zuhörerschaft und überhaupt diese ganze verkommene Generation um einen kollektiven Selbstmord bitten.
So sitzt die junge Altherrenrunde auf der Mojo-Bühne, verströmt den Charme elternfinanzierter BWL-Studenten im 16. Semestern und erklärt uns, wie das Leben, wie ihr Leben aussieht: Eckhart Nickel, der in einem anderen, weniger glamourösen Leben mal Chefredakteur eines dieser kostenlosen Uni-Magazine war, die niemand liest, und lange Verfasser der mit Abstand langweiligsten Texte im Jetzt-Magazin; ein autistisch wirkender Joachim Bessing, bei dessen Anblick wir jeden Moment mit dem Speichelfaden rechnen; Christian Kracht ohne Socken, nervös und verkrampft, als sei ihm schlagartig klar geworden, welchen Unfug er erzählt; einer, der versuchte so zu tun, als sei er der Aristokrat Alexander von Schönburg, weil jener aus irgendeinem Grund fehlte; und schließlich Benjamin von Stuckrad-Barre, der von seinen Mitschülern in der Grundschule vermutlich mit Popeln beworfen wurde und nie verstanden hat, warum das passierte, möglicherweise aber auch selbst am fleißigsten mit Popeln um sich warf und das nun auf einer anderen Ebene fortführt.
Eine Stunde lang lesen sie aus ihrem Gesprächs-Protokoll Tristesse Royal, hier und da erregt es Ekel, aber das wollen sie ja: den Hass derer auf sich ziehen, die sie verachten. Ab und an macht sich auch so etwas wie Mitleid breit, wenn beispielsweise Stuckrad-Barre gleich einem Elftklässler mit dem unbändigen Wunsch, „anders zu sein als die anderen“, erklärt, bestimmte Musik in dem Moment nicht mehr hören zu wollen oder zu können, in dem es der Golffahrer auch tut. Mit einem „Sittenbild einer Generation“ hat das alles wenig zu tun, vielmehr zeichnen sie ihr eigenes Sittenbild: das einer jungen Union von fünf quatschenden Barbourjacken, die „die Welt des Wohlstands“ zu ihrer eigenen erklärt und sich zurückzieht auf die Position der Verachtung, weil es dort bekanntermaßen am gemütlichsten ist.
Um sich der eigenen Mondänität noch mal zu vergewissern, begibt man sich dann zu späterer Stunde ins Deutsche Schauspielhaus, wo auf der Golden-Pudel-Gala die große Bühne an diesem Abend denjenigen gehört, die die junge Altherrenrunde ach so sehr verachtet. Der Drink schwappt im Plastikbecher, Gespräche werden geführt mit Menschen, die in Tristesse Royal als „stinkend“ beschrieben werden – das ist die Hölle, und man fühlt sich wohl darin. Auch ohne Socken.
Meike Fries
Joachim Bessing (Hrsg.): „Tristesse Royal“. Ullstein, Berlin 1999, 204 Seiten, 22 Mark
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