: Sound der Professionalisierung
The Notwist, Superpunk, Mouse on Mars und mehr: Das Musik-, pardon, Popkulturmagazin „Intro“ feiert in der Großen Freiheit Jubiläum ■ Von Alexander Diehl
Wie so oft ließe sich auch angesichts der inländischen Musikpresselandschaft manches Klagelied anstimmen, begleitet von einem Blick über kleinere oder größere Gewässer – dorthin, wo alles besser ist. Doch wer etwa von der britischen Pop-Wochenzeitung spricht, sollte von ihrer zyklischen Sensationshysterie inklusive aggressiv nationaler Nabelschau nicht schweigen. Oder sich gelegentlich einmal fragen, welche der unglaublich besten, letztgültigen Bands, Stile oder Outfits von vor, sagen wir: drei Monaten ihm noch einfallen, wann er sie zuletzt aufgelegt, angezogen oder auch bloß daran gedacht hat.
Dahingestellt, ob das selbstzweckhafte Umstoßen des eigens Errichteten nun eine legitime kulturelle Praxis oder, ähem, Verblendung ist, Geschmackssache oder etwas ganz anderes: Hierzulande halten die Kollegen in Redaktionen und Anzeigenakquisen das international vorgelegte Tempo nicht ganz; die eingespielten Wochenblätter zwischen Starschnitten und Mitsingtexten kränkeln an der Zielgruppenwanderung in Richtung Musikfernsehen oder Daily Soaps und deren Printverästelungen, und so sind es zunächst mehr oder minder bunte Monatstitel, die sich mit Popmusik im weiteren Sinne befassen. Allein dieser geänderte Rhythmus lässt die dortigen Sensationen hier immer ein wenig zahmer, die Emphase immer ein wenig lauer erscheinen. Es bedarf schon eines besonderen Weitblicks, um upfront zu sein, wenn man potentiell drei Wochen zu spät dran ist. Was den Leserschaften zwischen amtlichem Rockverständnis und auf Genres fokussiertem Tunnelblick in vielen Fällen herzlich egal sein mag, aber dort relevant wird, wo man sich obiges, explizit schnelllebiges Popverständnis auf die Fahnen geschrieben hat.
Das Monatsmagazin Intro, um das es hier gehen soll, wird inzwischen in Köln poduziert, und wie die ebendort ansässige Konkurrenz mit Sex im Namen sucht man verstärkt den Eindruck zu vermeiden, man sei bloßes Musikmagazin, was dann in Eigenbezichtigungen voller offenherziger Popbegriffe seinen Niederschlag findet. Und weil die Zeiten ja nicht eben leichter werden, setzte man bei Intro, dem Erfolgsmodell, das seinen Ausgang zwischen niedersächsischen Bauernhöfen, Fanzine-Optik und Eigenvertrieb nahm, vor einigen Jahren auf die große weite Welt der musikfernen Markenartikler, deren Produkte noch sexy und deren Werbeetats noch üppig sind. Nicht von ungefähr: Was den Weg des Intro seit zehn Jahren so bemerkenswert wie wohl überhaupt erst möglich scheinen lässt, ist nicht zuletzt, dass es immer kostenlos an den Kunden abgegeben wurde, sich dabei im redaktionellen Engagement aber deutlich von den zahllosen und zumeist kurzlebigen anderen Umsonstblättern abhob.
Da versuchte jemand, die Stärken des missionarischen Fanzineschreibens in ein, tja, professionelles Format zu bringen, finanziert ausschließlich über Anzeigen. Die Übersetzungsprobleme liegen auf der Hand: Es macht – für manchen – einen Unterschied, ob jugendliche Selbstausbeuter ihre Begeisterung auf eine mehr oder minder abseitige Nische lenken, von der die Welt überzeugt werden muss; oder ob die Terminplanung eines Tonträgerunternehmens diktiert, wann etwas zum Thema zu werden hat – ohne hier in „Ausverkauf!“-Protestantismus oder Kombigeschäfte-Verschwörungstheorien zu verfallen. Geschmackssache, aber selbiger stellt in der thematisierten Sphäre wiederum eine kaum anzufechtende Kategorie dar.
Heute, im elften Jahr seines Bestehens gibt sich Intro – längst bunt, aufwendig gelayoutet, schmuck anzusehen und mit vermutlich gesunder Einnahmesituation – auf merkwürdige Weise ambivalent und arbeitet sich optisch wie thematisch immer mehr an der Konkurrenz ab: Man beansprucht je nach Bedarf unangreifbaren Privatismus oder den popkulturellen Weltgeist zu dokumentieren, driftet immer öfter in Richtung „Meine schönsten Hauptseminarserkenntnisse“, wo früher „Mein derbstes Crossoverkonzert“ oder „Mein liebster Indie-Disko-Tag“ gestanden haben mag, und gelegentlich finden sich hier sogar die schöneren (weil sinnloseren) Modestrecken.
Gelegentlich befremdlich zeigen sich die neuen Verhältnisse da, wo sich das betont spezielle Verhältnis zum Leser äußert: Die basisnahen Regionalteile etwa haben inzwischen eine bemühte Beliebigkeit erlangt, konsequenterweise abgeschafft wurden sie nicht. Und wenn sich der Chefredakteur höchstpersönlich dazu hinreißen lässt, nicht genehme Leserbriefschreiber in abgedruckten Repliken als „kleiner Pisser“ zu bezeichnen, dann mag das die innere Zerissenheit eines vom Leben im Falschen Gebeutelten sein. Oder schlichtweg eine Frechheit, die ihm längst nicht mehr zusteht. Denn da schreiben zwar möglicherweise immer noch als Fans sich Fühlende für ebensolche, aber wir haben es eben auch mit einem deutlich ungleichgewichtigen Verhältnis von publizistischer Macht zu tun. Gelassenheit wäre da auch ein Zeichen der Professionalisierung.
Das zehnjährige Jubiläum feiert man mit einer kurzen, hochkarätigen Tour, bei der etliche konstante Größen des über die Jahre Goutierten zusammengebucht wurden: So kommen Hamburgs Konzertgänger endlich wieder in den Genuss, The Notwist zu sehen: Titelthema des Jubiläums-Intro und eine mindestens inländische 90er-Jahre-Legende, deren Weg von nicht eben feinsinnigem Metalcore über schönste Indie-, Post- und Sonstwas-Rockentwürfe zu einem offenen Verständnis von Jazz und anderen mäßig schnellebigen Genres geführt hat. Eine Band, die ernsthaft in Erwägung zieht, ein betont unzugänglich-antizyklisches Krachalbum zu machen, dann aber mit großem Pop-Songwriting abseits auftrumpft, kann nur zu den Guten gehören. Gleiches gilt für Mouse on Mars, die komplexes Elektronikgestapele nicht mit trockenen Akademismen verwechseln, sondern – insbesondere live – manche angeblich Rock revitalisierende Gitarrenband in punkto Entertainmentfaktor ausstechen.
Kurzfristig ins Programm kamen mit Superpunk nicht nur Hamburgs beste (weil einzige?) Soulpunker, sondern auch eine der diversen musikalischen Betätigungen, wie sie so mancher der früheren oder heutigen Intro-Macher vorweisen kann: Bassist Tim Jürgens begann als „InRegio“-Nord-Redakteur und arbeitet heute für ein tatsächliches Hochglanzherrenmagazin.
Das weitere, umfangreiche Programm finden Sie unten (oder auf aktuellstem Stand unter www.intro.de).
mit Cornershop , Tom Barman/dEUS, Sneaker Pimps , Erobique, Turner, Phantom/Ghost , Kreidler vs. Chicks On Speed ; DJs: Le Hammond Inferno; Sonnabend, 20 Uhr, Große Freiheit
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