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Sophie Jungschaut sich in Berlins Galerien um

Nach 1500, mit der Ankunft der Europäer in Südamerika, sind die Guaraní nicht einfach aus den Amazonaswäldern verschwunden. Trotzdem muss Filmemacherin Patrícia Ferreira Pará Yxapy mit einem tief sitzenden Fehldenken brechen, wenn sie diese historische Offenkundigkeit in einem ihrer Briefe erwähnt – und dabei auch die eigene Existenz als Guaraní behaupten muss. Aus dem Off oder direkt vor der Kamera liest sie zwölf solcher Briefe in zwölf Filmen ein und verbindet ihre Worte mit Bildaufnahmen aus dem alltäglichen Leben einer weggedachten Bevölkerungsgruppe. Bei Savvy Contemporary zeigt sie diese undramatische und eingängige Sound-Video- und Objekt-Installation, die zugleich eine klare Stimme in der aufkommenden Debatte zur Dekolonisierung ist (bis 15. 3., Do.–So. 14–19 Uhr, Plantagenstr. 31).

Vielleicht zehn Quadratmeter und dreieinhalb Wände – industriehallenartige Weiten bietet Schiefe Zähne wahrlich nicht. Das ganze Galerienprojekt von Hannes Schmidt mit seinem abwegigen Namen verweist ja bereits darauf, dass es mit der Präsentation von Kunst auch außerhalb des Kanons geht – und dass Künstler Lukas Quietzsch durchaus fünf großformatige Malereien auf den dreieinhalb Wänden unterbringen kann. Und wie er letztlich Keilrahmenkante auf Wandkante setzt oder einfach mal über und vor eine Heizung hängt, ist so nonchalant wie durchdacht. Ebenso willentlich frei ist die Stilmelange auf den Leinwänden: jung-wilde Figürlichkeit, Farbflächenmalerei und abstrakte Ornamentik, besprengt mit visuellen Samples. Quietzschs Remix auf Leinwand hat Beat, vor allem auf zwei mal zwei Metern (bis 10. 4., nach Vereinbarung unter info@schiefe-zaehne.com, Schliemannstr. 37).

Wie Schlupflider wegzuschminken sind, zeigt auf YouTube Kim Kardeshian, und wie man morgens vorm ersten E-Mail-Check meditiert, erklärt die Yogalehrerin Mady Morrison. In der Untergrundpassage am U-Bahnhof Kleistpark spulen auf einem Flachbildschirm Tutorials von der Art der Kims und Madys ab: Ein Typ im sportlichen Mentorenstyle leitet an, wie imaginierte Bilder mit einer Handübung in die mentale Balance zu bringen sind oder der städtische Stress mit Mannschaftsspielen zwischen Bäumen und Menschen abgewehrt werden kann. Gruppe Lifestyle propagiert hier von einer Glasvitrine aus diese absurden Praktiken der Selbstoptimierung. Doch anstatt Youtube-typisch für ein Jetzt anzuleiten, soll man sich für ein gelungenes Morgen rüsten. Eine Protospektive aufs Ich-Management – zu betrachten in einer Retro-Installation (bis 31. 3., tgl. 24 Stunden, Passage im U-Bahnhof Kleistpark).

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