Sonntagsverkauf am Hauptbahnhof wird kontrolliert: Sonntagseinkauf abgefertigt
Am Hauptbahnhof bleiben jetzt viele Geschäfte an Sonntagen geschlossen. Betroffen sind alle Läden, die keinen Reisebedarf anbieten. Das ist provinziell, so Kritiker.
Konsumsüchtige können sich nicht mehr auf Berlins Bahnhöfe verlassen. Die seit 2006 bestehende Verkaufseinschränkung an Sonntagen, die an fast allen großen Bahnhöfen bisher übergangen wurde, soll nach dem Willen des Senats nun von den Ordnungsämtern kontrolliert werden. Dass die stillschweigende Duldung des Sonntagsverkaufs tatsächlich langsam ein Ende hat, zeigt sich am Hauptbahnhof: Nach Kontrollen wurde gegen 23 Ladeninhaber Anzeige erstattet. Zum neuen Jahr schränkten daraufhin mehr als die Hälfte der Bahnhofsgeschäfte an Sonntagen ihr Angebot ein oder gaben den Verkauf gleich ganz auf.
Verboten ist das grenzenlose Shoppen an Sonn- und Feiertagen, seit vor vier Jahren das bundesweit geltende Ladenöffnungsgesetz abgeschafft wurde und stattdessen das Berliner Ladenöffnungsgesetz in Kraft trat. Nur noch Produkte, die für den Reisebedarf gebraucht werden - etwa Shampoos, Zeitungen oder Snacks - dürfen seitdem angeboten werden. Umgesetzt wurde die Regelung allerdings nicht, zumindest nicht an den großen Bahnhöfen. Erst als die Gewerkschaft Ver.di und die Industrie und Handelskammer im vergangenen Jahr Verstöße gegen das Verkaufsverbot an Sonntagen angemahnt hatten, sah sich der Senat zum Handeln veranlasst.
Der mit der Kontrolle beauftragte Leiter des Ordnungsamtes in Mitte, Carsten Spalleck, bestätigt den politisch gewollten Einsatz am Hauptbahnhof. An einem Sonntag Ende November sei zusammen mit dem Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) kontrolliert worden. "Dabei haben wir knapp zwei Dutzend Geschäfte festgestellt, in denen eindeutig mehr als der klar definierte Reisebedarf verkauft wurde", berichtet Spalleck. Zahlreiche Verwarnungen und Bußgeldbescheide würden derzeit ausgestellt. Modeboutiquen seien ebenso betroffen wie Lebensmittel- und Drogeriegeschäfte.
Ganz wohl ist dem Stadtrat bei der Sache allerdings nicht, denn er plädiert für den liberalen Umgang mit dem Ladenöffnungsgesetz, wie er in den vergangenen Jahren praktiziert wurde. Außerdem fühlt sich Spalleck vom Senat übergangen: "Ähnlich wie beim Nichtraucherschutzgesetz wird hier eine politische Diskussion wieder einmal auf dem Rücken der Bezirke ausgetragen. Genug Personal für die geforderten Kontrollen gibt es nicht." Man müsse sich nun generell die Frage stellen: "Wie will sich Berlin präsentieren, wenn Touristen sonntags am Hauptbahnhof, dem Tor zur Stadt, ankommen: als Kiez oder als Metropole?"
Anders als viele Ladenbesitzer am Hauptbahnhof sehen sich Einzelhändler an anderen Bahnhöfen noch nicht gezwungen zu reagieren. So etwa die Handelskette Rewe, in deren Filiale am Ostbahnhof sich sonntags genau wie beim gegenüberliegenden Discounter immer besonders lange Schlangen an der Kasse bilden: "Vertraglich haben wir uns der Deutschen Bahn gegenüber verpflichtet, am Ostbahnhof auch an Sonntagen zu öffnen. Im Übrigen halten wir uns an die Gepflogenheiten der anderen Einzelhändler, die dort ebenfalls sonntags geöffnet haben", erklärt Rewe-Sprecher Andreas Krämer.
Angesprochen auf die muntere und andauernde Missachtung des Ladenöffnungsgesetzes, reagiert man bei der zuständigen Senatsverwaltung etwas überfordert: "An Gesetze muss man sich halten", sagt Sprecherin Regina Kneiding. Wenn das aber nicht passiert, weil nicht überall, wie jetzt am Hauptbahnhof geschehen, kontrolliert wird? "Dann muss man zügig eine einhaltliche Regelung finden."
Eine klare Position gibt es dagegen, was die geforderte Ausnahmeregelung für die Bahnhöfe betrifft: "Ein Bahnhof ist ein Orte wie jeder andere, die Ausnahme gilt auch weiterhin nur für den Flughafen Tegel", sagt Kneiding. Sie befindet sich damit auf einer Linie mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der mehrfach verlauten ließ, dass er im Gegensatz zu FDP und CDU eine Ausnahme für den Sonntagsverkauf am Hauptbahnhof nicht befürwortet.
Die Deutsche Bahn selbst hält nichts von dem plötzlichen Vorstoß in Sachen Ladenöffnungsgesetz: "Der Hauptbahnhof sollte genau wie der Flughafen Tegel als Ausnahmebereich gelten", fordert ein Bahnsprecher.
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