Sonnenstrahlung besser als ihr Ruf: Zur Sonne, zur Gesundheit!
Jüngste Studien zeigen, dass maßvolle Sonnenbäder mehr Nutzen als Schaden bringen. Das dabei gebildete Vitamin D reduziert viele Krankheitsrisiken.
Frischluftfans und Sonnenanbeter mussten sich bislang immer Warnungen anhören: "Vorsicht Sonnenbrand!" hieß es vor allem aus den dermatologischen Arztpraxen, schließlich kann zuviel Sonne zu Hautkrebs führen. Doch nun scheint sich das Blatt allmählich zu wenden. Ganze Scharen an Forschern wechseln die Seite und werden zu regelrechten Verfechtern von Frischluftbädern. Der Grund: Vitamin D, bislang vor allem als Knochenschutzvitamin bekannt, scheint eine wichtige Rolle im Immunsystem zu spielen. Und der Bedarf dieses Vitamins kann nur durch wenige Lebensmittel gedeckt werden. Dafür kann es sich der Körper mithilfe von Sonnenstrahlen selber basteln.
Gerade dieser Umstand wurde dem Vitamin erstmal zum Verhängnis. Zu fast keinem Vitamin gibt es so viele Studien, aber so wenig fundierte Empfehlungen. Ein Manko, so beklagen viele Wissenschaftler, sei die unzureichende Standardisierung der Messverfahren. Deswegen seien Vergleiche verschiedener Studien oft nicht möglich. Kniffelig stellt sich auch dar, wie die Sonneneinstrahlung auf der Haut eigentlich zu erfassen ist.
Bislang gibt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) einen Mindestwert von 5 Mikrogramm für Kinder und Erwachsene vor. Große Mengen an Vitamin D finden sich beispielsweise in Hering, Lachs, Makrele und Ei. Andere tierische Lebensmittel liefern wenig davon, in Pflanzen steckt überhaupt kein Vitamin D.
Weil der Körper jedoch im Schnitt 90 Prozent selber bildet - je nachdem ob jemand viel an der frischen Luft ist, und je nach Hautfarbe -, ist diese Empfehlung wenig hilfreich.
Weil die Zufuhrmengen so schlecht greifbar sind, hantieren Wissenschaftler mittlerweile lieber mit dem Vitamin-D-Status im Blut. Denn nur dieser besagt, wie gut jemand versorgt ist. 30 bis 60 Nanogramm pro Milliliter Blut gelten als ideal. Bei weniger als 20 Nanogramm spricht man von Mangel. 70 Prozent der Deutschen leiden im Winterhalbjahr unter einem solchen Mangel. Senioren sogar zu 100 Prozent.
Und das ist fatal für die Gesundheit. Weil Vitamin D durch den Körper reist und in zahlreichen Organen, vor allem aber in Immunzellen Gene aktiviert. Beispielsweise gehen die so getunten Abwehrzellen gegen pathogene Keime wesentlich schärfer vor als inaktive Zellen. Auch in Krebszellen legt Vitamin D Gen-Schalter um und verlangsamt so die Zellteilung und Wucherung des Tumors. So legte kürzliche eine Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums offen: Frauen jenseits der Wechseljahre mit einem sehr niedrigen Vitamin-D-Status hatten ein deutlich erhöhtes Brustkrebsrisiko. Eine finnische Arbeitsgruppe hatte im Januar herausgefunden, dass je weiter südlich eine Bevölkerungsgruppe lebe, desto länger überlebten sie eine Krebskrankheit.
Eine Interventionsstudie aus dem Jahr 2007 konnte zeigen, dass die Einnahme von Vitamin-D-Pillen das Krebsrisiko von Frauen nach den Wechseljahren um 60 bis 77 Prozent innerhalb von vier Jahren senkte.
Doch das Vitamin kann noch mehr: Studien zeigten, dass wenig Vitamin-D im Blut mit der peripheren, arteriellen Verschlusskrankheit, mit Herzattacken und Schlaganfällen und Bluthochdruck in Verbindung steht. Darum, so bestätigt eine aktuelle Studie, erschienen in der renommierten Fachzeitschrift JAMA, sterben Menschen früher, wenn zuwenig Vitamin-D in ihren Adern zirkuliert.
Auch dass Allergieschocks im Norden der USA wesentlich häufiger auftreten als im Süden, könnte mit Unterschieden im Vitamin-D-Status zusammen hängen, vermuten Wissenschaftler der Harvard University.
Zudem soll latenter Vitamin-D-Mangel das Risiko für Schwangerschaftshypertonie und Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose und Diabetes-Typ-1 erhöhen. Eine Theorie besagt, dass Influenza vor allem in den Wintermonaten auftritt, weil dann die Vitamin-D-Versorgung marginal sei.
Schließlich spielt das Allround-Genie auch bei Tuberkulose (Tbc) eine Rolle. Inder und Pakistaner, die nach Großbritannien auswandern haben eine wesentlich größere Tuberkulose-Erkrankungsrate als daheim.
"Sie können durch ihre dunkle Haut mit dem wenigen Sonnenlicht nur sehr spärlich Vitamin-D bilden", so Armin Zittermann, Mediziner an der Ruhr-Universität in Bochum. Die Infektion müssten die Betroffenen aber schon vorher haben. Ein guter Vitamin-D-Status unterdrücke dann den Ausbruch der Krankheit.
Eine aktuelle australische Studie zeigte kürzlich, dass 78 Prozent der afrikanischen Immigranten mit einer latenten Tuberkulose einen schweren Vitamin-D-Mangel aufwiesen. Aus Laborversuchen weiß man, dass Vitamin D die Immunität gegen den Tbc-Erreger Mycobakterium tuberculosis erhöht.
Wegen der mittlerweile erdrückenden Beweislast, fordern einige Forscher, wie Zittermann höhere Bedarfsempfehlungen. Die Werte für die Vitamin-D-Zufuhr sollten von hierzulande 5 auf 25 Mikrogramm täglich angehoben werden", meint der Vitamin-Experte Zittermann. Eine entsprechende Änderung der Empfehlungen wird bei der DGE derweil aber noch nicht erwogen.
Weil Lebensmittel so wenig von dem Immunschutz-Vitamin liefern, plädiert Zittermann für Vitamine-Zusätze in Lebensmitteln - das ist rechtlich gesehen in Deutschland jedoch problematisch. Im Winter könnten Risikopersonen wie alte Menschen und Schwangere unter ärztlicher Aufsicht Vitaminpillen einnehmen.
In jedem Fall raten Experten: Keine allzu große Angst vor der Sonne! Eine tägliche Frischluftkur von 5 bis 12 Minuten im Sommer und 30 Minuten im Winter bei der Gesicht und Unterarme Sonnenstrahlen abbekommen, liefert bereits etwa 100 Mikrogramm an Vitamin D und könnte so gegen Krebs feien. Die Sonnenschutzcreme sollte man in dieser Zeit jedoch im Regal lassen. Sie blockiert die Vitamin-D-Produktion in der Haut um 98 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe