Sonderparteitag-Kommentar: Ermüdete Debattierer
Die grüne Spitze hat das Debattieren verlernt und hat sich im Sachzwangdenken eingerichtet. Der Sonderparteitag zu Afghanistan ist der Basis zu verdanken.
Stefan Reinecke ist Redakteur der taz und Autor des Buches "Otto Schily. Vom RAF-Anwalt zum Innenminister".
Früher waren die Grünen eine Partei, die Debatten schonungslos führten. Die Fähigkeit zu radikaler Kritik hatte manchmal etwas Selbstzerstörerisches, oft aber brachte die Partei zur Sprache, was in der Luft lag. Wer hofft, dass davon noch etwas geblieben ist, den wird der Leitantrag des Bundesvorstands zu Afghanistan desillusionieren.
Die Grünen haben 2001, in der aufgeheizten Atmosphäre nach 9/11, dem Einsatz der Bundeswehr zugestimmt. War es richtig, sich an dem US-Krieg zu beteiligen, der auf Rache, nicht auf Menschenrechte zielte? Diese Frage ist, auch mit Blick auf künftige Kriegsbeteiligungen, wesentlich. Im Leitantrag findet sich dazu kein einziges Wort. Dafür die kühne Schönfärberei, dass die Drogenproduktion in Afghanistan "zurückgeht".
Dass es diesen Sonderparteitag überhaupt gibt, ist der Basis zu verdanken, die sich noch nicht völlig im Sachzwangdenken eingerichtet hat. Die grüne Spitze dagegen empfindet den Parteitag eher als lästig. Auf ihm werden sich die Grünen wohl auf eine scheinbar sichere Linie zurückziehen: Nein zum Antiterrorkrieg der USA, der Operation Enduring Freedom (OEF), Ja zur internationalen Schutztruppe Isaf und der Bundeswehr.
Das Nein zu OEF ist billig zu haben, denn daran ist Deutschland in Afghanistan nicht mehr beteiligt. So rennen die Grünen offene Scheunentore ein - und dürfen sich ein bisschen pazifistisch fühlen. Grotesk ist, dass die Grünen sich nicht durchringen können, auch den Tornado-Einsatz abzulehnen. Nein zu OEF zu sagen und kleinlaut Ja zu den Tornados, die OEF unterstützen, ist lächerlich.
Ansonsten fällt den Grünen zu Afghanistan nicht viel ein. Sie fordern mehr Geld für zivilen Aufbau, was irgendwie immer richtig ist. Wichtig wäre die Debatte, ob die Vermischung von militärischen und zivilen Aufgaben, die die Bundeswehr in Afghanistan forsch betreibt, nicht ein fundamentaler Irrtum ist. Oder ob Afghanistan nicht viel mehr zivile Hilfe und mehr Militär braucht, um noch eine Chance zu haben. Doch die grüne Botschaft scheint zu lauten: weiter so, aber ein bisschen anders. Wenn nicht alles täuscht, wird es auf dem Sonderparteitag um Frieden gehen - den der Grünen mit sich selbst.
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