Sonderpädagogin über Migrantenschule: "Wir leisten Schwerstarbeit"
Nationalität ist nicht ausschlaggebend für die Verhaltensprobleme vieler Kinder, sagt Lehrerin Betül Durmaz. Das Geld von Hartz-IV-Empfängern sollte nicht in Nikotin fließen - sondern auf Schulkonten.
taz: Frau Durmaz, der Titel ihres Buches lautet: "Döner, Machos und Migranten. Mein zartbitteres Lehrerleben". Nicht unbedingt politisch korrekt …
Die Person: Betül Durmaz, geboren 1968 in der Türkei, wanderte 1971 mit ihren Eltern, die als Gastarbeiter kamen, ins Ruhrgebiet aus. Nach dem Abitur 1988 arbeitete sie als Flugbegleiterin bei der Lufthansa und studierte gleichzeitig Sonderpädagogik.
Der Beruf: Seit 2001 Jahren unterrichtet Betül Durmaz in der Gelsenkirchener Förderschule an der Malteserstraße, im Stadtteil Neustadt - einem sogenannten Brennpunkt. Unter den 26 Lehrern ihrer Schule ist sie die Einzige, die eine Zuwanderungsgeschichte hat. Etwa 60 Prozent ihrer Schüler haben einen Migrationshintergrund.
Das Buch: Betül Durmaz: "Döner, Machos und Migranten. Mein zartbitteres Lehrerleben". Herder 2009, 219 Seiten, 12,95 Euro
Betül Durmaz: … ich weiß, dass hier Klischees bedient werden. Jeder kennt türkische Dönerverkäufer und Machos. Anderseits gibt es auch ganz viele wie mich, die weder Döner verkaufen noch in irgendeiner Form ein Machogehabe an den Tag legen. Außerdem musste auch ein Titel gefunden werden, der einen Kaufanreiz bietet. Problematische Titel lassen sich bewiesenermaßen nicht so gut verkaufen.
Was soll uns der Untertitel vom zartbitteren Lehrerleben sagen?
Dieser Job hat zwei Seiten: Die zarte Seite: Er ist ein sehr familienfreundlicher und sicherer Job. Viele Menschen sind von Arbeitslosigkeit bedroht, das kann mir als verbeamtete Lehrerin so schnell nicht passieren. Die bittere Seite des Jobs ist, dass wir pädagogische Schwerstarbeit leisten, bei der man an vielen Tagen Nerven lässt.
Ist die große Vorberichterstattung in der Bild-Zeitung auch eine reine Werbemaßnahme für Sie gewesen?
Die Bild-Zeitung hat bei mir eine Anfrage gemacht und ich habe zugestimmt. Frei nach dem Motto: Es gibt nur Werbung! Keine schlechte!
Nach der Lektüre ihres Buches entsteht schnell der Eindruck, als gäbe es nur Probleme mit Kindern aus Migrantenfamilien …
… ich habe auch deutsche Kinder porträtiert. Bei all den Problemen, die ich beschreibe, handelt es sich nicht um ein Migrantenproblem, sondern um ein Schichtzugehörigkeitsproblem. Mit anderen Worten: Die Nationalität ist nicht ausschlaggebend für Verhaltensauffälligkeiten. Der Sohn eines libanesischen Arztes ist nicht Schüler unserer Schule oder die Tochter einer türkischen Rechtsanwältin treffen wir an meiner Schulform, der Sonderschule, nicht an.
Kann der Einzug von Kindergeld wirklich eine Maßnahme sein, damit Eltern sich um ihre Kinder sorgen? Es gibt diese populistische Forderung ja in regelmäßigen Abständen von Politikern: Eltern zu sanktionieren, wenn diese sich nicht ausreichend um die Bildung ihrer Kinder bemühen.
Die Gelder kommen ja nicht bei den Kindern an, viele Eltern verpulvern ihre Hartz-IV-Bezüge für Zigaretten oder elektronische Geräte. Sie können mit dem Geld nicht verantwortungsbewusst umgehen. Ein Großteil des Geldes müsste eigentlich auf ein Schulkonto überwiesen werden, dann könnten wir es verwalten, und man wäre weg von diesen Sanktionen. Dann hätten endlich alle Kinder die benötigten Schulmaterialien. Das ist aber rechtlich nicht möglich.
Sie schildern in ihrem Buch, dass Sie wenig Rückhalt von den Eltern bekommen. Wie stark können Sie auf die Kinder einwirken?
Es ist natürlich sehr, sehr schwierig, man muss schon erkennen, wo unsere Grenzen liegen. Letztlich können wir den Kindern nur ein positives Beispiel vorleben. Eigentlich müsste man die Eltern miterziehen, aber dafür bin ich nicht zuständig. Da geht es um Grundlagen. Was mache ich, wenn mein Kind zu viel vor dem PC sitzt oder zu viel fernsieht? Wie kann ich die Freizeit sinnvoll mit meinem Kind gestalten auch ohne viel Geld? Viele unserer Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert.
Bei dem Schüler Domenik haben Sie geschrieben, Sie könnten sich vorstellen, dass er seine alte Förderschule anzündet. Gehen Sie eigentlich noch gerne zur Arbeit?
Also, ich bin eine Optimistin und mache meine Arbeit sehr gerne. Außerdem habe ich ja auch Erfolgserlebnisse, die sind natürlich kleinschrittiger und anders gesteckt als an einem Elitegymnasium. Natürlich gibt es Tage, an denen bin ich frustriert. Aber manchmal komme ich nach Hause und freue mich, weil ich etwas erreicht habe. Es kommt auch auf die Ziele an, die man sich setzt. Wenn ich erreichen kann, dass eine Schülerin an einer Klassenfahrt teilnehmen darf oder ein Schüler regelmäßig zum Unterricht erscheint oder eine Schülerin nicht sofort ausrastet, dann ist das schon ein Erfolg.
Etwa 60 Prozent ihrer Schüler haben einen Migrationshintergrund. Die Teilnahme von muslimischen Kindern an Klassenfahrten oder am Sportunterricht beschäftigt auch die Gerichte in Deutschland. Wie soll mit Eltern umgegangen werden, damit ihre Kinder an solchen Aktivitäten teilnehmen können?
Das Wohl des Kindes steht für mich immer an erster Stelle. Ich versuche den Eltern klarzumachen, dass die Teilnahme am Sportunterricht und an Klassenfahrten sehr förderlich für die Entwicklung ihrer Kindes ist. Außerdem leben wir hier in Deutschland, und es handelt sich um staatliche Schulen. Kinder können nicht integriert werden, wenn sie teilweise ausgeschlossen werden. Aber es gibt Eltern, die wollen keine Integration, die wollen nicht in der westlichen Gesellschaft ankommen. Da kann man, leider, leider nichts machen.
Treten Eltern und Schüler anders auf Sie zu, wenn sie den ausländischen Namen hören?
Moderate, muslimische Eltern, die freuen sich, und da habe ich auch einen gewissen Vertrauensvorschuss, und sie glauben, eine Verbündete vor sich zu haben. Nach dem Motto: "Super, eine von uns." Hardliner beäugen mich besonders kritisch. Für die bin ich ganz schnell eine Reizfigur, den ich faste nicht, spreche fließend Deutsch und kleide mich westlich. Die fragen sich: "Na, ist das wirklich eine von uns?"
Wie äußert sich die Kritik der konservativen Muslime?
Die Mutter eines Jungen hat mich mal vor meiner Klasse beleidigt, ich werde mit Hilfe Allahs meine gerechte Strafe erhalten. Ein Hardliner hat mich als "türkische Schlampe" beschimpft, da hat die Schule ein Strafverfahren eingeleitet. Wir müssen uns nicht alles gefallen lassen.
Wie haben ihre Kollegen auf das Buch reagiert?
Alle haben sich für mich gefreut und mir dazu gratuliert.
Keine Neider?
Nicht offensichtlich, zumindest hat es mir keiner direkt ins Gesicht gesagt. Außerdem sind wir ein freies Land, jeder kann ein Buch schreiben. Aber Neid ist ja bekanntermaßen die höchste Form der Anerkennung.
Sie haben die Namen der Kinder nicht anonymisiert. Was sagen die Betroffenen dazu?
Teilweise sind sie nicht mehr an unserer Schule und eigentlich haben sie es auch nicht mitbekommen. Unsere Klientel liest leider keine Bücher.
Die Kinder, deren Aussehen, Familien und Lebensumstände sie teilweise sehr genau beschreiben, wissen also nicht, dass sie darin vorkommen?
Nein, dass wissen sie nicht. Es ist aber alles mit dem Herder-Verlag abgesprochen worden, rechtlich bin ich also abgesichert. Außerdem kann man mit den Vornamen keine Rückschlüsse auf die beschriebene Person ziehen.
Dennoch, verstößt es nicht gegen Persönlichkeitsrechte und gegen ihre pädagogische Schweigepflicht?
Wenn es gegen Persönlichkeitsrechte verstoßen würde, dann hätte ich das Buch überhaupt nicht schreiben dürfen. Ich beschreibe den Alltag an einer Förderschule in Gelsenkirchen-Neustadt. Die Namen sind hier nicht wesentlich. Ich hätte sie auch Max und Moritz nennen können. Es geht letztendlich um unseren pädagogischen Alltag mit all den Schwierigkeiten und Problemen. Viele Außenstehende, die das Buch gelesen haben, sagen mir, dass sie sich die Arbeit, die wir jeden Tag leisten, ohne mein Buch nie hätten vorstellen können.
Was sagt ihr Schulleiter dazu?
Es sieht das genauso.
Sie werden jetzt auch von rechter Seite instrumentalisiert. Verwundert sie das?
Nach den Artikeln war mir das schon klar. Aber es ist ja auch das Bild-Niveau. Ich bin keine Politikerin, ich verkaufe keine Wahrheiten, ich berichte über meine Erfahrungen. Ich habe mit denen überhaupt nichts zu tun, ich sympathisiere nicht mit denen. Ich belächle das einfach nur. Es ärgert mich nicht, denn es ist einfach unqualifiziert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid