Sommerausflug Teil 8: Wie das so läuft auf der Rennbahn

Wer die Galopprennbahn Hoppegarten besucht, taucht ein in die Welt der Schönen und Reichen. Jedenfalls trägt man hier schon mal gestreiftes Hemd zum Champagner.

Wer gewinnt, hat Recht: Rennen in Hoppegarten. Bild: dpa

„Pferdeverstand ist das, was Pferde davon abhält, auf künftiges Verhalten der Menschen zu wetten“, sagte Oscar Wilde, und wer bin ich zu behaupten, er habe Unrecht? Als wir vor wenigen Monaten mit unserem klapprigen Hippiebus das erste Mal zur Galopprennbahn Hoppegarten fuhren, kamen wir gerade aus dem Humboldthain-Club im Wedding und fanden den Gedanken an sprintende Pferde und schnöselige Aristokraten äußerst amüsant.

Eine sogenannte Schnapsidee. Dementsprechend dünnte sich unsere Gruppe kurz nach der Ankunft bereits aus. Laura, unsere jugendliche Begleiterin und Hüterin der Pfeffi-Flasche, legte sich nach wenigen Minuten an der Ziellinie der Rennbahn ins weiche Gras, um in der prallen Mittagssonne ihren Rausch auszuschlafen. Die Blicke, die sie trafen, schwankten zwischen echtem Mitleid und erstauntem Unglauben. Kein Wunder, schließlich legt man hier viel Wert auf Etikette. Warum auch nicht: Auf Äußerlichkeiten reduziert zu werden, ist nur ein Problem, wenn diese nicht stimmen, und hier ist die Oberfläche der Meisten definitiv schön anzusehen. Über unsere Äußerlichkeit legen wir den Mantel des Schweigens, dann sieht man die zerrissenen Jeans nicht so.

Ich konnte das nicht lange mit ansehen, also beschloss ich irgendetwas zu unternehmen, und „irgendetwas“ war in diesem Fall einen am Zuckerwattestand vergessenen Hut mitzunehmen, um ihn der sicherlich bald Dehydrierten auf den Kopf zu legen. In der Zwischenzeit erklärte Maxi uns, wie das so läuft auf der Rennbahn. Dass man erst mal die Pferde im Führring beobachtet, sich die Jockeys anschaut, einberechnet, wenn ein Trainer mehrere Pferde im Rennen hat. Und dass es keine gute Idee sei, als Grünschnabel sofort 50 Euro auf das Pferd mit dem schönsten Namen zu setzen.

Letzteren Rat befolgte ich nur bedingt und stand schon bald mit stolzgeschwellter Brust und der Attitüde eines jungen Charles Bukowski am Wettannahmehäuschen. „Einmal Dancing Shuffle bitte“, tönte ich und wedelte mit einem 20-Euro-Schein. „Das ist hier keine Cocktailbar“, bekam ich als Antwort. Aus irgendeinem Grund hatte die Dame hinter der Glasscheibe mich sofort als totalen Nichtsnutz und Aufschneider entlarvt. Hilfesuchend schaute ich zu unserer Expertin für Pferde und Wetten jeder Art. Ich erfuhr, dass ich mir auch noch ein Programm kaufen muss, schließlich sollte man die Nummer des Pferdes wissen, um wetten zu können. „Setz auf Pedroza!“, riet die Expertin, und ich tat wie befohlen, schließlich ist Maxi unser bestes Pferd im Stall und Pedroza war an jenem Tag offenbar der beste Jockey auf der Rennbahn. Ich gewann postwendend, auch wenn ich weder verstand warum, noch wie das alles funktioniert.

Egal: Wer gewinnt, hat Recht, und vom hohen Ross schaut man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul. Bald waren die Rennen vorbei, und wir hatten dank Maxis Hilfe und etwas Glück jeder um die 10 Euro mehr in der Tasche – obwohl wir uns noch einen Leberkäse und das ein oder andere Bier gegönnt hatten. Meinem heimlichen Vorbild Henry Chinasky hatte ich es nicht nachmachen können – weder hatte ich eine Ledertasche dabei noch eine reiche Witwe an Land gezogen –, aber dafür kam uns eine verwirrte Laura entgegengestolpert. Sie war von einem älteren, hutlosen Herren geweckt worden, der ziemlich erbost schien. Im Halbschlaf erklärte sie uns, er habe sie des Diebstahls bezichtigt, dabei habe sie doch seit ihrer Ankunft nur geschlafen. Ich schwieg und warf meine Nieten in die 2.-Chance-Box, man muss ja nicht immer alles erzählen.

All das geschah im Mai und wir waren ziemlich angetan von diesem Ausflug. Nur eins schien klar: Das nächste Mal wollten wir uns benehmen.

Nun ist August und wir stehen schon zum fünften Mal auf der Tribüne, jeder eine Champagnerflasche in der Hand, ich trage ein blaues Knöpfhemd mit weißem Kragen, Laura ein enges schwarzes Kleid und eine mongolische Prinzesinnenkappe, Maxi einen überdimensionalen Hut. Während ich das Foto betrachte, das gerade von uns geschossen wurde, und mich ernsthaft frage, ob diese unglaublich gut aussehenden Schnösel aus Westend oder Charlottenburg stammen, kommt Simon im Tweedanzug die Treppe hoch und verteilt die Wettscheine an uns. Kurz wird gefachsimpelt, werden vergangene Erfolge und Qualitäten der Pferde resümiert und dann werden Sätze ausgesprochen wie: „Setz doch bitte die 4 auf 1 und 3 als Platz-Zwillingswette und die 9 auf Sieg.“

Ob das Sinn macht, wissen wir weiterhin nicht, aber es ist ein gutes Gefühl, so zu tun als ob. Sophia ist heute erstmals dabei, und so schreite ich staatsmännisch voran und führe sie ein in die unbekannte Welt des Pferde-Jetsets. Dort gibt es Backfisch, hier Waffeln mit Puderzucker, der Herr da hinten verkauft Pferdeskizzen, die Quoten erfährt man auf den Bildschirmen an den Kassenhäuschen, und die Typen mit den gestreiften Hemden und den Windhunden sind auch nicht viel reicher als wir. Stetig pendeln wir zwischen Führring und Ziellinie, schauen durch unseren Feldstecher und vor allem betrinken wir uns wesentlich eleganter.

Ich muss gestehen dass ich immer noch kein Pferdefan bin. Mir ist der Hals zu lang, der Kopf zu groß und sowieso. Aber ich kann bestätigen, was mir ein weiser, stark angeheiterter Rentner an der Mojito-Bar zuraunte, als ich ihn wegen seines hinters Ohr geklemmten Kugelschreibers um einen Tipp für das nächste Rennen bat: „Reiten ist die Kunst, ein Pferd zwischen sich und dem Erdboden zu halten.“

Galopprennbahn Hoppegarten, Goetheallee 1, 15366 Hoppegarten, S-Bahn Station Hoppegarten (Mark). Nächster Renntag ist der 07. 9 2013.
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