Somalischer Immigrant holt Gold für GB: Ein Triumph für Londons Muslime
Migranten aus Somalia sind in Londons Multikulti-Hierarchie weit unten. Aber jetzt holt einer Gold und wird zum Helden: Mo Farah, Sieger des 10.000-Meter-Laufs.
LONDON/BERLIN taz | Hamed lacht. „Na klar, das macht uns glücklich“, sagt der Brite pakistanischer Abstammung, der am Londoner Fernbahnhof Euston alles verkauft, was Touristen so brauchen. „Das ist gut für uns Muslime. Das Beste daran ist, dass wir jetzt ein Vorbild für unsere Kinder haben und die Türen offen sind für sie, sich auch im Sport zu beweisen.“
Plötzlich ist ein Somali der Held von Olympia. Mo Farah wird dazu noch zum ersten Briten in der Geschichte der Olympischen Spiele, der im 10.000-Meterlauf der Männer Gold holt. Zuletzt gewann 1908 ein Brite im Fünf-Meilen-Rennen, das es längst nicht mehr gibt.
Geboren wurde Farah in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, 1983 in den Zeiten der Militärdiktatur. Seine Familie zog mit ihm in das Nachbarland Dschibuti, als Somalia im Bürgerkrieg versank. Im Alter von acht Jahren kam er nach London und konnte kaum Englisch. Seine Familie suchte in Großbritannien Asyl, auf der Flucht vor dem Krieg, und bekam es.
Der Vater kannte England schon: Er war als somalischer Immigrant in Hounslow geboren, neben dem Flughafen Heathrow. Aber der Achtjährige kam in eine zumeist weiße Schule, konnte die Sprache nicht und fühlte sich nicht wohl. Nur im Sport konnte er mithalten - und viel mehr als mithalten. „Er war ein sehr lebhafter Junge“, erinnert sich sein ehemaliger Sportlehrer Alan Watkinson, der beim Siegeslauf jetzt dabei war. „Er machte lauter Blödsinn, aber er liebte den Sport.“
Watkinson verhinderte, dass Farah abdriftete, und orientierte ihn Richtung Sportwettbewerbe Eigentlich wollte der kleine Mo Fußball spielen, aber sein Lehrer erkannte schnell, dass der Lauf viel mehr versprach.
Ein Sieg der Superlative
Seinen ersten Titel gewann Mo Farah 1997, in einem Schülerwettbewerb. Den ersten größeren Titel holte in den Europa-Jugendathlethetikmeisterschaften in Athen 2001. Seitdem ging es nur noch aufwärts, obwohl er sich erst Peking 2008 noch nicht einmal für Olympia qualifiziert hatte.
Jetzt ließ er Mitläufer aus Äthiopien, Kenia und Eritrea hinter sich. Britische Zeitungen feiern seinen Sieg als einen Sieg der Superlative - und scheren sich überhaupt nicht über seine Herkunft. Somalis sind in Großbritannien eigentlich eher verfemt, das Land gilt als Brutstätte des islamistischen Terrorismus und nicht wenige somalischstämmige Briten sind in ihrer Heimat als Kämpfer der zu al-Qaida gehörenden islamistischen Shabaab-Milizen aktiv. Farah bietet nun ein Gegenbeispiel, den das ganze Land liebt - und den die Muslime jetzt feiern können.
„Dies ist kein Plastikbrite“, jubelte der britische Sportjournalist Jim White in Anlehnung an das Schimpfwort, das man so manchen extra eingebürgerten Athleten gegeben hat. „Er hat keinen Pass gesucht. Er hatte noch nie einen Meter Wettbewerb gelaufen, als er herkam. Er wurde auf den Straßen Londons zu dem, was er ist.“
In einem Interview erklärte Farah: Anders als in Kenia oder Äthiopien gibt es in Somalia keine Läufertradition. „Ich reiste 2008 zum Besuch hin und ich fing an zu laufen, und die Leute fragten: Bist du verrückt? Die Kinder lachten mich alle aus.“
„Ich kann es nicht glauben“, sagte Farah nach seinem Sieg. „Ich habe so etwas noch nie erlebt. Es kommt nicht oft vor, dass so viele Leute meinen Namen brüllen. Das ist der beste Moment meines Lebens.“
Viel Rätselraten gab es um seine Siegesgeste - zwei Hände auf dem Kopf (siehe Foto). Nein, es ist keine somalische Tradition. Er hat sich das in einer TV-Show ausgedacht, als jemand ihm vorschlug, er solle sich irgendwas Persönliches zulegen, so wie Usain Bolt. Der Jamaikaner tritt Sonntag abend im 100-Meter-Lauf an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands