: Somalias Krieg hat begonnen
Während EU-Kommissar Louis Michel noch von neuen Friedensgesprächen schwärmt, werden die Gefechte zwischen Islamisten und Übergangsregierung immer heftiger
NAIROBI taz ■ Wenige Stunden lang war Louis Michel mit sich und den Ergebnissen seiner Reisediplomatie sehr zufrieden. Erst hatte der EU-Entwicklungskommissar am Mittwoch Somalias Übergangspräsident Abdullahi Yusuf in Baidoa getroffen, der einzigen Stadt, die die Regierung kontrolliert. Augenzeugen berichten, verbündete äthiopische Truppen seien zu Hunderten dort stationiert – was Yusuf genauso dementiert wie Äthiopien.
Dann ging es weiter nach Mogadischu zu Scheich Hassan Dahir Aweys, dem gesuchten Terroristen und Chef der „Union islamischer Gerichtshöfe“, die halb Somalia unter ihrer Kontrolle hat. Beide, so freute sich Michel in der Nacht zu gestern, hätten zugesagt, Friedensgespräche miteinander zu führen. „Alle Seiten wollen an einer Entspannung der Lage mitwirken und alle Angriffe einstellen.“ Ein neun Punkte umfassendes Memorandum der Verständigung sei vereinbart worden, darin die Zusicherung von Gesprächen ohne Vorbedingungen.
Doch das sogar schriftlich festgehaltene Versprechen war schon wieder Makulatur, als Louis Michel am nächsten Morgen aufwachte. Gut 100 Kilometer südwestlich von Baidoa schlugen Mörsergranaten und Raketen ein. Die Gefechte sind die genauso heftig wie am Tag zuvor, als die Kämpfe am Mittwoch wieder ausgebrochen waren. Bewohner berichten von schwerem Artilleriefeuer, auch Kampfhubschrauber wurden gesichtet. „Es ist klar, dass die Übergangsregierung solche Waffen nicht hat, die haben nur die Äthiopier“, wetterte Aweys daraufhin in Mogadischu. „Wir befinden uns jetzt mit Äthiopien im Krieg.“
Wenn Behauptungen der Übergangsregierung stimmen, dann haben die Islamisten heftige Verluste hinnehmen müssen. Hunderte Islamisten habe man vom Schlachtfeld gefegt, erklärte ein Regierungssprecher in Baidoa. Die Islamisten sprachen ihrerseits von mindestens 70 Opfern auf Seiten der Regierung. Unabhängige Bestätigungen solcher Zahlen gibt es nicht.
Der sich seit Monaten abzeichnende Krieg um die Macht in Somalia hat nun offenbar endgültig begonnen. Der Somalia-Analyst Matt Bryden glaubt, dass Äthiopien kurzfristig die besseren Karten hat. „Äthiopien hat eine große, gut ausgebildete Armee in Somalia, die hervorragend ausgerüstet und den Islamisten in jeder Hinsicht militärisch überlegen ist.“ Langfristig werde sich das jedoch ändern. „Die Islamisten haben Rückhalt in der Bevölkerung, die Äthiopier können sie nicht besiegen, es sei denn sie wollen in Mogadischu Straßenkämpfe führen.“
Zwar haben die Islamisten sich in den sechs Monaten seit ihrer Machtergreifung in Mogadischu viele Sympathien verspielt, indem sie Kinovorführungen oder das beliebte Rauschmittel Khat verboten haben. Doch der gemeinsame Feind Äthiopien hält auch die Kritiker des zunehmend fundamentalistischen Bündnisses bei der Stange. Die Tatsache, dass die USA immer wieder Öl ins Feuer gießen, treibt den Islamisten treue Anhänger zu. So hatte die Vizeaußenministerin für Afrika, Jendayi Frazer, die Union islamischer Gerichtshöfe erst kürzlich als Terrorzelle unter Führung der al-Qaida bezeichnet.
Die Islamisten können unterdessen auf die Unterstützung von Äthiopiens Erzfeind Eritrea setzen. Dazu kommen Islamisten aus dem Nahen Osten. Ein UN-Bericht spricht von Waffenlieferungen der Hisbollah aus Libanon und Iran. Journalisten wollen in islamistischen Militärlagern zudem pakistanische und afghanische Extremisten als Ausbilder gesehen haben. Der Krieg am Horn von Afrika könnte sich vor diesem Hintergrund leicht zu einem Flächenbrand ausweiten, der nicht nur die Nachbarländer, sondern ganz Afrika spalten könnte. Bryden befürchtet für diesen Fall eine Krise mit globalen Auswirkungen.
An einen baldigen Frieden glauben zumindest die krisenerfahrenen Somalis nicht mehr. 15 Jahre ist es her, dass der Diktator Siad Barre aus Somalia geflohen ist. Seitdem hat das Land keine zentrale Regierung mehr gehabt. Viele von denen, die seitdem in Chaos und Anarchie ausgeharrt haben, ergreifen jetzt aus Angst vor dem Endkrieg die Flucht. Die UN berichten, dass Tausende die Dörfer rund um Baidoa verlassen haben. Im nahen Kenia bereitet sich das Flüchtlingshilfswerk UNHCR auf die größte Flüchtlingswelle seit Jahren vor.
MARC ENGELHARDT