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Archiv-Artikel

■ Soll es ein Rerendum zu einem EU-Beitritt der Türkei geben? Leser diskutieren Machtpolitik und linke Demagogie

betr.: „Ein Referendum zum EU-Beitritt der Türkei? So wird der Populismus salonfähig“, Kommentar von Daniela Weingärtner, taz vom 6. 10. 04

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Sie – und vermutlich auch Ihre Leser – haben ein sehr übersichtliches Demokratieverständnis. Referenden und Volksabstimmung ja, aber nur, wenn das Ergebnis aller Voraussicht nach in Ihrem Sinne ausfällt. Dies hat mit Demokratie nichts zu tun, sondern ist nichts als Machtpolitik und linke Demagogie. Wenn es Qualität hätte, könnte man es Arroganz nennen. So ist es nur dummdreist. Auf dieser Ebene ist links tatsächlich gleich rechts.

SIEGFRIED OPITZ, Frankfurt am Main

Edmund Stoiber, Angela Merkel und Jörg Haider in einem Atemzug – das ist doch auch ganz schöner Populismus. Wie unsere Politiker einer ehrlichen Diskussion – auch mit viel Schmerz – aus dem Weg gehen und dann tatsächlich eine unangenehme Entscheidung auf das Volk abwälzen, so blockieren ihre obigen Ansichten auch eine Diskussion. Darf ich als Bürger dieses Landes mich nur noch in engen, abgesteckten Grenzen äußern? Dann bewegt sich hier doch irgendwann nichts mehr. Wir haben übrigens seit 1945 Meinungsfreiheit.

ROBERT BORN, Hamburg

Wir Linksintellektuelle lassen uns doch nicht vorschreiben, welche Fragen wir dem Volk zur Abstimmung vorlegen und welche nicht. Das wäre ja noch schöner. Die Medien- und politische Macht, mithin die Deutungshoheit über wichtige gesellschaftspolitische Fragen, kontextualisieren wir vormundschaftlich. Merkt doch sowieso keine/r. Das nenne ich zynischen linken Populismus.

Demokratie ist eben die schlechteste Regierungsform außer allen anderen – wohl wahr. Und manchmal ist Demokratie sogar schmerzlich – zumal wenn man/frau anderer Meinung ist. Wenn sich jedoch höchst ungewöhnlich viele Menschen, nämlich fast 10.000 (!) – so viel wie an keiner einer anderen n-tv-Umfrage beteiligen (25 Prozent für und 75 Prozent gegen einen türkischen EU-Beitritt) – dann sollte man/frau doch froh sein, wenn das Volk seine Stimme erhebt. Passiert ja sonst nur noch bei Hartz IV. Wäre diese Umfrage zugunsten der Türkei ausgefallen, hätte die taz frohlockt. Volksabstimmung – sofort! So aber schwingt man die Populismuskeule, die jedoch wie in einer Projektion im Grunde Angst vor einer Mehrheitsmeinung spiegelt. Darüber täuscht auch nicht die ansatzweise vorsichtige Andeutung der Möglichkeit berechtigter Bedenken hinweg. Welche „vielen guten Gründe“ es gäbe, einen Türkei-Beitritt abzulehnen, erfahren die Leser/innen nicht. […] Ihr Kommentar ist daher meines Erachtens pure demagogische Agitprop. LOTHAR G. KOPP, Berlin

Sie zeigen ein erschreckendes, lebensfremdes Verständnis, ein in jeder Hinsicht dringend notwendiges, dringend empfehlenswertes Referendum über den EU-Beitritt der Türkei als Populismus zu katalogisieren. Die Geschichte zeigt, dass alle Fehler ausschließlich von Politikern stammen, nicht von den Völkern. Diese durften dann in Folge regelmäßig nur bezahlen. Was bisher den Politikern wohlfeile Regel war, hat ausgedient. Es entscheidet, wer die Rechnung bezahlt. Das ist immer das Volk. Das ist nicht Populismus, sondern Demokratie pur, Sie haben da bisher etwas grandios missverstanden.

HORST UHLEN, Lefkas, Griechenland

Ich hab’s mir doch gedacht: Volksbefragung ja, aber nur, wenn uns das mögliche Ergebnis passt und wir vielleicht damit eine Politik korrigieren können, die nicht unsere ist. Aber wehe, es droht in eine andere Richtung zu laufen, dann haben wir Angst vor den Demagogen. Schon mal daran gedacht, dass es die auf allen politischen Flügeln gibt? Rechts und links? Und entweder das Volk ist politisch reif und verantwortlich, oder eben nicht. Aber bitte keine Rosinenpickerei, sondern eine glaubwürdige, konsequente Linie. Oder gibt’s das gar nicht mehr? HANS ARNO PETZOLD, Hamburg

Sie sollten auch Ihnen missliebigen Politikern zugestehen, dass sie gute Gründe gegen einen vorschnellen Beitrag der Türkei zur EU haben. Auch ich denke, dass die Türkei 1. noch nicht reif für den Beitritt zur EU ist, und 2. als Neumitglied den übrigen Mitgliedern der EU enorme finanzielle Bürden auferlegen würde.

Zu 1: Nach außen gibt sich die Türkei gerne laizistisch, in Wirklichkeit jedoch fördert sie den Islam zum großen Nachteil der nichtislamischen Religionen, wobei die Christen besonders diskriminiert werden. Zu 2: Bei einem Beitritt zur EU hätte die Türkei sehr große Ansprüche auf EU-Finanzausgleich, welche – angesichts der gegenwärtigen trostlosen wirtschaftlichen Lage Deutschlands und anderer EU-Mitglieder – bis auf Weiteres nicht erfüllt werden können. Ich bitte deshalb in Zukunft um Fairness auch gegenüber Politikern der so genannten „Rechten“. Man muss kein Anhänger rechter Ideologien sein, um vor den Gefahren multikultureller Gesellschaftsvisionen zu warnen. GERHARD P. DRESCHER, Kaufbeuren

betr.: „Weltpolitik braucht Mut“, Kommentar von Jürgen Gottschlich, taz vom 7. 10. 04

Als engagiertem Befürworter eines Beitritts wird man mir hoffentlich verzeihen, wenn ich eine Suspendierungsklausel gegen Rückschritte in Sachen Demokratie und Menschenrechte für richtig halte. Ich nehme nicht an, dass sie effektiv gebraucht wird, aber sie kann als ständige Erinnerung an die Zentralität dieser Themen dienen. Ich weiß nicht, ob die Türkei das braucht, aber die EU braucht es als Rückversicherung ganz bestimmt. HANS-PETER GEISSEN, Koblenz

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