: Solidarität in der Bierschwemme
■ Eine Reise mit den St. Pauli-Fans zum Auswärtsspiel bei 1860 München von Kai Rehländer
„Ich will ein Bier!“ Der Punk ist mächtig sauer. Seit zwanzig Minuten schon versucht er im Pschorrkeller an der Münchener Theresienwiese, einer Weihestätte des Bierkonsums, ein Glas des bayrischen Nationalgetränks zu bekommen. Vergebens. Seine Freunde versuchen ihn zurückzuhalten, als er den Wirt anschreit und mit bajuwarischer Gemächlichkeit vertröstet wird. „Ist das ein Scheiß hier!“, entlädt er seine Emotionen und ist kurz davor, zum Sonderzug zu gehen, um sich eine Palette von dem Dosen-Bier zu holen, das er eigentlich auf der Rückfahrt verkaufen wollte.
Um vier Uhr ist er aufgestanden, um mit einem Sonderzug den FC St. Pauli zum Auswärtsspiel beim TSV 1860 München zu begleiten. Acht Stunden hat er mit den anderen „Schluckspechten und -innen“ (Anrede des Sonderzugflugblattes des Fanladens) im Zug gesessen, miterlebt wie sich schon auf der Hälfte der Strecke die ersten im Gang erbrachen. Und dann dieses Spiel. 0:1 verlor sein Klub wieder einmal eine Auswärtsbegegnung unglücklich.
Obwohl, die Stimmung war anfangs toll. Bereits am Bahnhof fanden die ersten Verbrüderungsszenen zwischen dem 60er-Anhang und den Kiezclubfans statt. Und auch im Stadion gelang es der St. Pauli-Kurve – trotz einer miesen Akustik– ihre Mannschaft deutlich hörbar zu besseren Leistungen anzustacheln. Im Pschorrkeller sollte ab 18 Uhr der nichtfußballerische Höhepunkt der Reise stattfinden: Eine gemeinsame Fete mit den 60er Fans bei Stimmungsmusik und einträchtigen Samstagsportsendungen gucken. Indes fehlte die versprochene Leinwand und auch von der Band war weit und breit nichts zu sehen. Und dann zwanzigminütiges Warten auf ein Bier. Kruzifix nochmal.
Besserung trat ein . Die Wartezeiten für ein Bier verkürzten sich. Die Folkloreveranstaltung fußballerischer Art konnte beginnen.
„Achtundfünfzig, Neunundfünfzig, Sechszy“, schallte es durch die in bayrische Gemütlichkeit designte Halle. „Oleoleoleoleole-Super-Hamburg-Sankt-Pauli“ hernach. Frisch mit den Devotionalien des anderen Klubs ausstaffiert wurde bei den Hymnen beider Clubs mitgesungen. Gemeinsamkeit eint – zumindest außerhalb des Stadions. Gemeinsam haben ja beide Vereine, daß sie in ihrer Stadt die Nummer Zwei sind, in dem Ruf stehen, ein Klub der kleinen Leute zu sein und immer ausreichend Fans mobilisieren .
„Die Kleinen sind doch die Großen“, ist auf einem vom St. Pauli-Fanladen herausgegeben T-Shirt zu lesen, das die Embleme beider Clubs ziert und das in der Bierschwemme verkauft wurde. Die Großen, das sind Bayern München und der HSV, die heftig von sich nach vorne drängenden Einpeitschern auf der Bühne beschimpft werden. „Scheiß-FC-Bayern“ wird vom gesamten Saal skandiert. Dem HSV Handlungen wider der Fankultur vorgeworfen. (“Was trinken wir?“ Antwort: „Bier!!!“, „Was trinkt der Scheiß-HSV?“ Antwort: Der Werbejingle eines bayrischen Milchmultis wird intoniert).
„Das ist ja unglaublich“, entsetzt sich eine Fanin, „Wenn ich mir das hier ansehe, wie die von der Bühne die Leute aufstacheln, kann ich mir vorstellen, wie Schönhuber in diesem Ambiente Erfolge feiern kann – einfach wie Reichsparteitag.“ Indes: Ihre Sorge, daß ihre Mitfans plötzlich nicht mehr die etwas besseren sind, erwies sich als unbegründet. „Nazis raus“ gehörte ebenso zu der abendlichen Fanfolklore wie das Hoch auf die „Internationale Solidarität“, das auf Tischen tanzend skandiert wurde, genauso wie zuvor „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“.
Mit halbvollen Maßkrügen ausgestattet treffen sich die St. Pauli-Fans um 24 Uhr am Münchener Hauptbahnhof. „Wir rechnen mit 10 Prozent Schwund bei den Fahrgästen“, ist von Seiten des Fanladens zu hören. Ulf, der Punk, hat es noch zum Zug geschafft. Sein Vorhaben, seine Finanzen durch Dosenbierverkauf aufzubessern, hat der gewaltige Bierkonsum im Pschorrkeller den Garaus gemacht. Sichtlich geschafft, ein Nippen an der Bierdose, schläft er ein.
„Wenn unsere Jungs dieses Scheißspiel gewonnen hätten, wäre das 'ne tolle Aktion gewesen“, lautete in fast jedem Abteil das Credo. Und: „Nach den ganzen Maß, kann ich jetzt erst einmal für ein paar Wochen kein Bier mehr sehen.“
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