Soldaten über Töten und Zerstörung: Gazakrieg-Berichte schockieren Israel
Soldaten berichten von willkürlichen Erschießungen von Zivilisten und Zerstörung von palästinensischem Besitz. Der Militär-Generalstaatsanwalt ordnet eine Untersuchung der Vorwürfe an.
TEL AVIV/JERUSALEM dpa/afp Israelische Soldaten haben die Öffentlichkeit mit Aussagen über wahlloses Töten von Zivilisten und mutwillige Zerstörung während des jüngsten Gaza-Kriegs schockiert. Israelische Medien berichteten am Donnerstag, die Soldaten hätten entsprechende Zeugenaussagen im vergangenen Monat während einer Versammlung an einer Militärakademie gemacht. Sie erzählten von sehr lockeren Dienstvorschriften, was das Schießen auf Zivilisten betraf. Die Aussagen wurden in dieser Woche in einem Informationsblatt für Absolventen der Akademie veröffentlicht. Die Armee kündigte eine Untersuchung der Berichte an.
Einer der Kommandeure erzählte etwa von einer Anweisung, eine ältere Palästinenserin zu erschießen, die in etwa 100 Meter Entfernung von einer israelischen Stellung auf der Straße ging. Er sprach dabei von "kaltblütigem Mord". Ein anderer Kommandeur berichtete, wie ein Scharfschütze eine Mutter und ihre zwei Kinder erschoss, weil sie versehentlich eine falsche Straßenabbiegung nahmen. "Ich glaube nicht, dass er sich besonders schlecht fühlte, weil er aus seiner Sicht nur nach seinen Vorschriften handelte."
Insgesamt habe der Eindruck vorgeherrscht, "dass das Leben von Palästinensern sehr, sehr viel weniger wichtig ist als das Leben unserer Soldaten", sagte er. Beim Stürmen von Häusern, in denen sich Zivilisten aufhielten, hätten Soldaten häufig wahllos und ohne Vorwarnung um sich geschossen. "Die Vorgesetzten sagten uns, dies sei in Ordnung, weil jeder, der dageblieben ist, ein Terrorist ist", erzählte einer der Soldaten. "Ich habe das nicht verstanden - wohin hätten sie denn fliehen sollen?" Andere Soldaten hätten ihm gesagt, man müsste alle töten, "weil jeder Mensch in Gaza ein Terrorist ist".
Viele Soldaten hätten auch mutwillig den Besitz palästinensischer Familien zerstört, "weil es ihnen Spaß macht". "Wir können sagen, sooft wir wollen, dass die israelische Armee moralisch überlegen ist, aber im Feld ist das einfach nicht so." Der Leiter der Akademie, Danny Samir, sagte über die Aussagen während der Versammlung: "Für uns war das ein totaler Schock." Die israelische Organisation Rabbiner für Menschenrechte nannte die Vorfälle einen "moralischen Tsunami" und rief zur nationalen Trauer und Buße auf.
Die israelische Armee teilte am Donnerstag mit, der Militär-Generalanwalt, Avichai Mendelblit, habe eine Untersuchung der Vorwürfe durch die Militärpolizei angeordnet. Man werde "die Ereignisse prüfen, die während der Versammlung beschrieben wurden".
Während der dreiwöchigen israelischen Militäroffensive im Gazastreifen zum Jahreswechsel wurden nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte insgesamt 1.434 Palästinenser getötet und weitere 5.303 verletzt. Unter den Todesopfern seien 960 Zivilisten, teilte die Organisation vor einer Woche zum Abschluss einer Untersuchung in Gaza mit. Israel wollte mit dem Einsatz den Raketenbeschuss israelischer Ortschaften durch militante Palästinenser aus dem Gazastreifen unterbinden. Die wechselseitigen Angriffe gehen jedoch weiter.
Nach den gescheiterten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, über einen Gefangenenaustausch erhöhte Israel den Druck auf die Palästinenserorganisation. In der Nacht zum Donnerstag wurden nach Angaben der Armee bei einem gemeinsamen Einsatz von Inlandsgeheimdienst und Armee an mehreren Orten des Westjordanlands zehn ranghohe Hamas-Mitglieder festgenommen. Die Männer seien Mitglieder der Hamas-Führung im Westjordanland, sagte eine Armeesprecherin.
Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas über einen Gefangenenaustausch waren am Dienstag gescheitert. Der in den Gazastreifen verschleppte israelische Soldaten Gilad Schalit sollte gegen hunderte palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Die Hamas sprach am Donnerstag von Erpressung und kündigte an, keinerlei Zugeständnisse machen zu wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich