Sol y Sombra: Sohle oder Spitze
■ Spaniens erstes WM-Gold stammt aus der Karibik und ist höchst umstritten
Der Kampfrichter an der Weitsprunggrube war nicht zu beneiden. Was hatte sein Kollege für Anfeindungen aushalten müssen, als er in der Qualifikation einen gewaltigen Sprung der aus Kuba stammenden Neu-Spanierin Niurka Montalvo für ungültig erklärt und damit fast deren Endkampfteilnahme verhindert hatte. Und nun das. Kurz nachdem die weitsprungtechnisch recht unbedarfte 100-m-Weltmeisterin Marion Jones durch minimales Übertreten die letzte Chance verpasst hatte, mehr als ein Bronzemedaille zu gewinnen, sprang Montalvo mit 7,06 m an die Spitze vor Fiona May (Italien/6,94 m). Dumm nur, dass sich beim Absprung zwar ihre Schuhsohle vor der Linie befand, die Fußspitze aber deutlich darüber. Der Kampfrichter war nicht lebensmüde. Ein prüfender Blick, kein Abdruck im Plastilin – gültig. Das Stadion explodierte in einem spanisch-karibischen Freudentaumel, der sich steigerte, als Fiona May beim allerletzten Sprung des Abends nur bei 6,87 m landete. „Korrekte Entscheidung“, räumte selbst die Gazzetta dello Sport ein, der offizielle Protest der italienischen Delegation wurde abgelehnt. Fiona May jedoch fühlte sich betrogen, und ihr Ehemann ließ sich in seinem Zorn gar dazu hinreißen, den sofortigen Rücktritt der Springerin anzukündigen. Der Kampfrichter kann froh sein, dass die Geschädigte nicht Marion Jones war. Deren Gatte wäre wahrscheinlich direkt zu ihm gekommen.
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„Das ist eine sehr hübsche Frage“, sagte Christopher Koskei, gerade Weltmeister über 3.000 m Hindernis geworden, als jemand von ihm wissen wollte, was er denn von Ali Ezzine, dem Bronzemedaillengewinner aus Marokko, halte. „Er läuft sehr stark“, lobte der Kenianer, „und er soll sich freuen, vielleicht ist es ja die letzte Medaille, die er in seiner Karriere gewinnt.“ Eine gewisse Verstimmung ob der Tatsache, dass sie einen Eindringling in ihrer angestammten Domäne dulden mussten, konnten die Kenianer nicht verhehlen. Bei vier Startern nur zwei Medaillen, das war ihnen lange nicht mehr passiert. „Es ist gut, wenn jetzt die ganze Welt kommt, um den Kenianern im Hindernislauf einen harten Kampf zu liefern. Wenn jedes Mal drei Kenianer gewinnen, ist das ein bisschen langweilig“, räumte Silbermedaillengewinner Wilson Boit Kipketer, etwas redegewandter und auch höflicher als sein Landsmann, zwar ein, doch er kündigte auch Konsequenzen an. Schließlich ist es nicht nur Ezzine, der den Kenianern neuerdings Kopfschmerzen bereitet, sondern auch der deutsche Europameister Damian Kallabis, am Montag bitter enttäuscht über seinen vierten Platz, aber immerhin vor Golden-League-Dominator Bernard Barmassai im Ziel, oder der Spanier Eliseo Martin, der als Sechster Paul Kosgei hinter sich ließ. Umstandslos schreiben sich die Kenianer den Aufstand der Fremdlinge selbst zu, denn alle würden ja nach Kenia kommen, um dort laufen zu lernen. „Jeder weiß, wie die Kenianer trainieren, jeder weiß, was sie tun“, sagt Kipketer, „jetzt, wo wir wissen, dass uns eine Menge Leute auf den Fersen sind, sollten wir in Zukunft vielleicht ein paar Geheimnisse für uns behalten.“
Eines lüftete Christopher Koskei dann aber doch noch. „Eine sehr hübsche Frage“, sagte er, als er auf das Sportfest in Zürich angesprochen wurde, bei dem er kürzlich angeblich den Jackpot-Kandidaten Barmassai gewinnen ließ, und verkündete dann: „Jeder, der zu einer Weltmeisterschaft kommt, will Gold gewinnen. Zürich ist ein Grand Prix.“ Matti
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