Sohn sucht Vater: Im Strom der Erinnerungen

Für seinen Film „Aus dem Abseits“ hat sich Simon Brückner in Hannover auf Spurensuche nach seinem Vater, dem Sozialpsychologen Peter Brückner, begeben.

„Aus dem Abseits“: auf Vatersuche. Foto: Isabelle Casez

Er selbst kann sich kaum an seinen Vater erinnern. Simon Brückner war 1982 vier Jahre alt, als sein Vater Peter Brückner mit 59 Jahren an einem Herzleiden starb. Nun hat er sich auf die Suche nach den Spuren seines Vaters gemacht: Im Laufe seiner Recherchen über sein Leben erfährt er, dass er einst „auf den Armen von Rudi Dutschke“ geschaukelt wurde, bei erhitzten Diskussionen mit Klaus Wagenbach „unter der großen Tafel einschlief“ oder als Einziger den kratzbürstigen Hauskater Mescalero streicheln durfte.

Es muss merkwürdig für ihn gewesen sein, zu hören, dass der eigene Vater als eine Art „Vaterfigur für die Apo“ galt. Am Schluss des Film wird Simon Brückner sagen, dass seine wenigen Eindrücke vom Vater nun verschwunden sind: überschrieben von all den Erinnerungen anderer, die er gesammelt hat.

Ein ehemaliger Nachbar Peter Brückners, der immer noch das gleiche unansehnliche Hochhaus bewohnt, erinnert sich, einmal „Ulrike Meinhof im Fahrstuhl“ getroffen zu haben. Ein anderer Zeitzeuge widerspricht, weil dies zeitlich unmöglich gewesen wäre. Davon, dass es sich bei Erinnerungen zum großen Teil auch Verklärungen und Fantasien handelt, auch davon erzählt Brückner in dieser filmischen Suche nach seiner verlorenen Zeit.

Der Bezug auf Marcel Proust wird nie ausgesprochen. Aber so wie der Schriftsteller seine Recherche mit einem Stück Teegebäck beginnt und der Geschmack der Madeleine ihn in einen Strom von Erinnerungen reißt, so beginnt Simon Brückner seinen Film damit, dass seine Mutter die alte Pfeife seines Vaters aus einer Schublade holt und er an ihr riecht, um noch etwas vom Aroma seines Vaters in die Nase zu bekommen.

Seine Mutter holt Brückners alte Pfeife aus einer Schublade und riecht an ihr

Diese Art des biografischen Dokumentarfilms, bei der der Filmemacher eine persönliche Beziehung zu seinem Thema hat, aus einer erkennbar subjektiven Perspektive erzählt und selber vor die Kamera tritt, bietet sich hier sicher an. In den letzten Jahren hat David Sieveking mit seinen Filmen „David wants to fly“ über seine extreme Begeisterung für David Lynch und „Vergiss mein nicht“ über die zunehmende Demenz seiner Mutter diese Form erfolgreich und sehr verspielt genutzt. Brückner inszeniert sich selber viel dezenter und ist insgesamt kaum eine Minute des knapp zwei Stunden langen Films zu sehen. Er hat aber eine sympathische Eigenart, die dem genauen Zuschauer nicht verborgen bleibt: Wenn einer seiner Gesprächspartner gerührt ist, sieht man die Hand des Regisseurs mit einer tröstenden Geste in den Film hineinragen.

Peter Brückner war in den 70er-Jahren eine Ikone der Protestbewegung. Als solche macht er als politische Figur und Projektionsfläche den Film so interessant. Sein Sohn Simon wird seiner Rolle wiederum auch formal gerecht, indem er seinen Film als eine große Parallelmontage konstruiert: Auf der einen Ebene zeigt er seine persönliche Suche nach Menschen, die seinen Vater kannten und ihm von diesem erzählen können.

Doch dann wechselt er immer wieder in ein konventionell erzähltes Porträt, in dem der Lebensweg und die politische Karriere des alten Brückners mit Originalaufnahmen seiner Stimme, Auszügen aus seinen Büchern, privaten Fotos und Archivaufnahmen aufgearbeitet wird. Dabei wird viel aus Brückners Buch „Das Abseits als sicherer Ort“ über seine Kindheit und Jugend zitiert. 1922 als Sohn einer jüdischen Konzertsängerin geboren, lebte er von Anfang an in einer prekären Außenseiterrolle, die ihn schon früh zu einem unabhängigen Denker und Rebellen werden ließ. In den 40er-Jahren gehörte er zu einer Gruppe von Hitler-Gegnern und unterstützte als Soldat Kommunisten, Deserteure und Kriegsgefangene.

Nach dem Krieg studierte er Psychologie und arbeitete in der Marktforschung. 1967 wurde er an die Universität Hannover berufen, wo er Psychologie lehrte und sich bald zu einem der Köpfe der außerparlamentarischen Opposition entwickelte. Er wurde 1972 wegen angeblicher Unterstützung der RAF suspendiert – und 1977 ein zweites Mal, wegen der Veröffentlichung des Buback-Nachrufs, in dem ein Göttinger Student unter dem Pseudonym „Mescalero“ von seiner „klammheimlichen Freude“ angesichts des Attentats schrieb.

Klaus Wagenbach erzählt, Brückner hätte ihn an ein „einsam wanderndes Nashorn“ erinnert, und solche Umschreibungen, Deutungen und Details geben einen plastischen Eindruck davon, wie Brückner auf seine Mitmenschen gewirkt haben muss. So sind die „subjektiven“ Teile des Films interessanter als die Kapitel des politischen Lebenswegs, die wie ein Pflichtprogramm in kurzen Kapiteln abhandelt werden.

Dabei sind das Politische und das Private gerade bei Brückner kaum zu trennen. Und dies, obwohl der linksintellektuelle Sozialwissenschaftlter Manfred Lauermann, der damals ein Protegé von Brückner war, berichtet, die beiden hätten damals nie über Privates gesprochen, und er hätte sich gar nicht vorstellen können, dass Brückner „so etwas Schreckliches wie eine Familie“ haben könnte.

Es sind die Widersprüche und Brüche in der Biografie seines Vaters, die den Regisseur am meisten interessieren. So arbeitete Peter Brückner, nachdem er seine Professur erhielt, nebenbei noch weiter für den Klassenfeind in der Marktforschung und finanzierte dadurch eine Wohnung in Berlin, in der er in einer Kommune wohnte, die er nicht ohne Witz „ZentrAPO“ nannte.

In seinem einstigen Studenten Theo Becker hat Brückner einen treuen Gralshüter, der das „Brückner-Archiv“ an der Universität in Hannover verwaltet und sich darüber beklagt, dass dessen Antrittsvorlesung „Der Rhesusaffe als Interpret seines Zoologen“ fehlt. Diese Sequenz ist auch deshalb zugleich traurig und komisch, weil Brückner im ganzen Film nirgends so abwesend ist wie in dem ihm persönlich gewidmeten Archiv.

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