: „Sogar Arabella Kiesbauer kauft“
Olaf Forner, taz-Handverkäufer in Berlin, über Kanzlerin Merkel und den Dreck von der Straße
taz: Olaf Forner, wie fängt dein Arbeitstag als Handverkäufer der taz an?
Olaf Forner: Ich hole mir die Zeitungen schon früh ab, kurz nach 20 Uhr. Dann kann ich den Leuten sagen: Sie kaufen jetzt die erste taz in ganz Deutschland.
Und dann reißt man dir die taz aus den Händen?
Die anderen Zeitungen gehen dahin, wo ihr Publikum ist, wir machen das noch nicht wirklich. Es gibt in Berlin fünf Nachtverkäufer-Touren, die decken so ungefähr die linke Szene ab, die üblichen Verdächtigen sozusagen, Kreuzberg, Schöneberg. Ich gehe auch zum Gendarmenmarkt.
Im schicken Berlin-Mitte liest man die taz?
Im Moment komme ich da nur auf zehn bis fünfzehn Zeitungen, aber das muss man erst mal aufbauen. Wenn die Seite eins gut gemacht ist, kaufen auch Leute die taz, die sie sonst niemals lesen. Außerdem sind die Leute dort nicht kleinlich, die geben ordentlich Trinkgeld.
Der Gendarmenmarkt ist die Kantine des Raumschiffs Berlin: Da sitzen abends Politiker und Hauptstadtjournalisten.
Ja, aber auch nur zum Teil. Da sitzen auch die, die in Prenzlauer Berg sitzen. Dort kommt man auch in Kontakt mit Persönlichkeiten, die sind der taz gegenüber sehr aufgeschlossen.
Zum Beispiel?
Bei Lafontaine und Gysi sind es die Lebenspartnerinnen, die die taz kaufen. Sie selbst nicht, schon gar nicht, wenn sie allein sind. Maybritt Illner kauft die taz gerne. Sogar Arabella Kiesbauer.
Und Angela Merkel?
Nein, Frau Merkel liest die taz nicht, sie hat sie mir zumindest noch nie abgekauft, wenn sie essen geht.
Und ist sie wenigstens nett?
Sie selbst schon, aber ihre sie begleitenden CDU-Boys blamieren sich, so gut sie können.
Inwiefern?
Dieses höfliche beziehungsweise höfische Getue. Wir sind die Dienerinnen der Kaiserin, die bestellen dann das Gleiche wie Angela Merkel und so.
Schwierige Kundschaft.
Ich habe da so meine Sprüche: Die Zeitung von morgen mit den Politikern von gestern für die Leute von heute! Oder: heute schon lesen, was morgen von gestern ist!
Und das funktioniert?
Der nächtliche Handverkauf funktioniert nur über Motivation. Ein Zeitungsverkäufer muss ein Freak sein. Es geht um Selbstdarstellung, man muss sich auch selbst verkaufen
Erschreckend!
Das kann man mit einem Barkeeper vergleichen, man muss mit Menschen umgehen können. Manchmal wollen die Leute gar keine Zeitung, sind aber bereit, über Themen zu sprechen. Das macht mir dann am meisten Spaß, da bin ich Idealist.
Gibt es Kneipen in Berlin, in den denen du auf eine richtige Mauer stößt?
Ja, in Läden, die absolut „szenig“ sind, traditionell links. Der Helmholtzplatz am Prenzlauer Berg, da geht gar nichts, eine richtige, dicke Mauer tut sich da auf. Und dann der schwarze Block: Stuttgarter Platz oder Savigny Platz in Charlottenburg, das traditionelle CDU-Berlin.
Du bist viel im Osten Berlins unterwegs, wie ist es dort um die Mauer bestellt?
Die Leute im Osten, die im wiedervereinigten Deutschland angekommen sind, sind potenzielle taz-Kunden. Je geringer die Scheuklappen der Menschen, desto eher kaufen sie die taz.
Wie sieht es mit Eckkneipen aus?
In einer richtigen Schultheiss-Stampe gibt es eine intellektuelle Barriere, da geht nur Boulevard. Aber andererseits passiert da gerade was: Ich beobachte, dass das intellektuelle Publikum abends in Stampen geht.
Ach was?
Wer den ganzen Tag in einer Scheinwelt lebt, möchte eben abends, wenn der Hammer fällt, auch hören, dass er fällt. Aber die sind dann eben auch für die taz nur noch schwer erreichbar.
Ziemlich anstrengender Job, oder?
Zu Hause wasche ich mir unter der Dusche den Dreck von der Straße runter. Außerdem bin ich Nichtraucher, nach acht Jahren Kneipe habe ich jetzt wahrscheinlich eine Passivraucher-Lunge.INTERVIEW: MARTIN REICHERT