Software ermittelt Lohn-Diskriminierung: Frau Billig
Mit einem Schweizer Computerprogramm will von der Leyen jetzt auch die Lohnlücke in deutschen Unternehmen bekämpfen. Aber auf freiwilliger Basis und ohne Gesetz und Quote.
"Wir diskriminieren doch keine Frauen!" Davon sind die meisten Unternehmer in Deutschland überzeugt, wenn ihnen am Freitag, dem "Equal Pay Day", vorgehalten wird, dass Frauen 23 Prozent weniger verdienen als Männer. Doch mittlerweile gibt es Instrumente, mit denen sie dies überprüfen können. Um eines dieser Instrumente ist nun ein Koalitionsstreit ausgebrochen. "Logib" heißt es, und es kommt aus der Schweiz.
"Bei uns wird niemand diskriminiert!" Davon waren auch die Manager bei der Berner IT-Firma Bedag überzeugt. Man habe schließlich ein geschlechtsneutrales Lohnsystem: jeder nach seiner Leistung. Vor vier Jahren wollte es Personalchef Alfred Tinner genauer wissen. Er ließ ein Computerprogramm entwickeln, mit dem er die Lohnstruktur seiner 350-köpfigen Belegschaft, darunter rund 40 Frauen, überprüfen konnte.
Das Programm ermittelte die Qualifikation der Angestellten, ihre Stellung in der Firma und die Anforderungen, die an sie gestellt wurden. Dann wurde geschaut, welchen Lohn die Einzelnen erhielten. "Das Ergebnis hat uns alle überrascht", sagt Tinner. Ein gutes Dutzend der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, so kam heraus, werde unter Wert bezahlt.
Nun schauten die Manager genauer hin: Arbeitete jemand einfach schlecht und wurde zu Recht weniger gut bezahlt? Aber die Leistungen waren in Ordnung. Nur der Lohn stimmte nicht. "Wir haben die Konsequenzen gezogen und diese Leute höher bezahlt." Es ging dabei um mehrere tausend Franken Jahreslohn. Bei einer Systemspezialistin waren es sogar 15.000 Franken.
Die Abteilungsleiter waren empört darüber, dass sie Frauen falsch eingruppiert haben sollten. Die Frauen selbst waren erstaunt. Sie hatten einfach nicht nach mehr Lohn gefragt. "Alles ist unbewusst abgelaufen", betont Tinner. "Frauen stellen ihre Leistungen nicht so zur Schau wie Männer. Und die Vorgesetzten schließen vom Auftritt auf die Leistung. Dabei erreichen die Frauen dasselbe Ziel, nur auf einem anderen Weg."
Inzwischen hat das Eidgenössische Büro für Gleichstellung das Programm standardisiert und "Logib" getauft. Die Behörde überprüft damit Unternehmen, die öffentliche Aufträge erhalten. Schließlich darf der Staat nicht zur Geschlechterdiskriminierung beitragen.
Beeindruckt haben die Schweizer Erfahrungen auch die deutsche Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU). Am Donnerstag stellte sie Logib in einer Pressekonferenz zum "Equal Pay Day" vor. Das Ministerium will Firmen animieren, sich damit selbst zu überprüfen. In der Pilotphase, die bis Sommer 2009 dauern soll, wird sich unter anderen der Softwarekonzern Microsoft Deutschland damit testen.
Doch es gibt einen entscheidenden Haken: Von der Leyen hat "Logib" als freiwilliges Instrument konzipiert, das Firmen auf sich selbst anwenden können. In der Schweiz dagegen werden die Ergebnisse staatlich überprüft. Ohne eine solche Kontrolle kann sich jedes Unternehmen mit Logib schönrechnen, kritisiert die Sozialwissenschaftlerin Karin Tondorf, die sich auf Arbeitsbewertungssysteme spezialisiert hat. "Dieser Test verhilft zu einem Persilschein, den niemand überprüfen kann." Mit der freiwilligen Selbstkontrolle spiele von der Leyen der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände in die Hände. Die behauptet seit Jahr und Tag, in ihren Unternehmen gebe es keine Diskriminierung.
Dass die Schweizer Bedag zu so eindeutigen Befunden kam, führt der Personalchef darauf zurück, dass die Unternehmensführung - unter Protest der Abteilungsleiter - jedem Einzelfall nachging: "Wir mussten sehr hart durchgreifen. Es gibt Vorgesetzte, die bis heute nicht einsehen, dass sie Frauen ungerecht bewerten."
Ohne staatliche Überprüfung geht es nicht - ein Befund, der der SPD gelegen kommt, hat sie doch zum Wahlkampf die Frauenpolitik für sich entdeckt. Neuerdings ist sie wieder für Quoten und ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft. Im deutlichen Kontrast zu von der Leyen schlägt SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz nun vor, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes und die Betriebsräte die Gehaltsstrukturen von Unternehmen überprüfen dürfen sollen. Karin Tondorf geht noch einen Schritt weiter: Sie fordert, es der Schweiz gleich zu tun und öffentliche Aufträge nur noch an nachweislich diskriminierungsfreie Unternehmen zu vergeben.
Von der Leyen dagegen bleibt auf der wirtschaftskonformen Linie: keine staatlichen Vorgaben, kein Gesetz, keine Quoten. "Die SPD ist mit ihrem Gleichstellungsgesetz unter Kanzler Schröder krachend gescheitert", meint sie. "Wir wollen lieber Strukturen wie die Kinderbetreuung oder das Elterngeld angehen, anstatt uns auf anderem Gebiet noch mal eine blutige Nase zu holen."
Das Bundesarbeitsministerium wird an diesem Freitag in einem Workshop mit Experten über politische Antworten auf das Lohnproblem diskutieren. Von der Leyens Vorgehen gilt hier als unverbindliches Showprogramm: "Wir sind an nachhaltigen und wirksamen Verfahren interessiert und nicht an unüberprüfbaren Etiketten, die sich Firmen zu Werbezwecken aufpappen können", heißt es aus dem Ministerium.
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