Soderberghs "Haywire" außer Konkurrenz: Täuschung, Verrat und Männerleichen
Wenn das Genre-Ironisieren alt wird: Steven Soderbergh versucht sich mit "Haywire" an der Neuerfindung des Actionthrillers. Wirklich neue Ideen fehlen ihm aber.
Man muss es sich vielleicht so vorstellen: da stecken überall in Los Angeles die Produzenten und Schreiber die Köpfe zusammen und versuchen im Brainstorming-Verfahren neue Ideen zu generieren, wie sie die "Bond"-, "Bourne"- oder "Mission Impossible"-Formel um immer noch eine Folge erweitern und mit immer noch einem Superspezialtrick überbieten könnten.
Und so traf sich wohl auch Steven Soderbergh mit Lem Dobbs - der mit "The Limey" einen seiner besten Filme geschrieben hat -, und sie nahmen sich vor, statt mit Überbietung es mal mit etwas anderem zu versuchen.
Als Erstes verfielen sie darauf, dass der zentrale Held eine Frau sein müsste. Keine wirklich ganz neue Idee - weshalb Soderbergh und Dobbs auch keine "Lara Croft"-Angelina Jolie oder "Underworld"-Kate Beckinsale auswählten, sondern eine, die zwar Kurven besitzt, es aber nicht nötig hat, diese im knappen Leibchen oder im Stretchanzug eigens hervortreten zu lassen.
Eine Frau also, die vielleicht vor der Kamera als Kämpferin ganz glaubhaft wirken könnte. Jemand wie Gina Carano eben, im Kino bislang unbekannt, dafür aber als Championin der amerikanischen "Mixed Martial Arts"-Szene fast schon eine Legende.
Als Zweites muss dann die Idee da gewesen sein, dieser Heldin lauter Gegner gegenüberzustellen, die sonst eher in die Kategorie Frauenliebling fallen - Männer, gespielt von Channing Tatum, Michael Douglas, Antonio Banderas, Ewan McGregor, Michael Fassbender und Mathieu Kassovitz. Und ihr als einzig Verbündeten den sonst eher auf Bösewicht spezialisierten Bill Paxton zur Seite zu stellen.
Und als Drittes, sehr, sehr wichtig und tatsächlich eine über Tarantino hinausgehende Idee, nahmen sie sich dann vor, das Ganze völlig ironiefrei zu gestalten.
Erholsam wie ein Bau der neuen Sachlichkeit
Weitere Geistesblitze des Soderbergh-Dobbs-Brainstormings könnten gelautet haben: kein Technofirlefanz, nur Handys und Computer, und das so, dass keine Figur mit Informatikstudium eingeführt werden muss. Kein endloses Rumgeballere, kein rätselhafter Plot, keine Spezialeffekte, keine spektakulären Explosionen … Nun, das Konzept dürfte klar sein: Es besteht aus mehr Donts als Dos. Was sich leider selbst in der kurzen Laufzeit des Films - sparsame 93 Minuten - als letztlich ein wenig lästige Restriktion bemerkbar macht.
Davor aber nimmt der Film seine Zuschauer erst mal gefangen mit der sichtlich angeschlagenen Mallory (Gina Carano), die angespannt in einem Diner wartet. Doch derjenige, auf den sie wartet, schickt an seiner Stelle einen, dessen Erscheinen Mallory schlicht mit "Shit" kommentiert. Es fallen die Schlüsselworte Barcelona, Paul und Dublin. Und es kommt zum ersten von vielen Faustkämpfen zwischen Frau und Mann, für die der jazzige Score (David Holmes) verstummt, um sich am "Umpf" der Hiebe zu delektieren.
Mallory gelingt die Flucht, wobei sie sich einen Dinergast als Helfer schnappt, dem sie dann beim Davonfahren in dessen Auto ihre Geschichte erzählt. Nun, an dieser Stelle anzudeuten, dass ihre Geschichte die einer Jägerin ist, die zur Gejagten wird, dass Täuschung und Verrat ihren Weg säumen, neben ein paar Männerleichen, nun, das ist fast schon zu viel verraten von einem Plot, der stolz auf seine eigene Bündigkeit ist.
Weshalb damit auch fast schon alles gesagt wäre. "Haywire" ist so mühelos gut gefilmt wie alle Soderbergh-Filme; eine echte Entspannung fürs Auge, so erholsam wie ein Bau der Neuen Sachlichkeit nach Beispielen postmoderner Überladenheit. Doch am Ende bleibt trotzdem ein Gefühl des Unbefriedigtseins. Man hatte mehr erwartet. Eben nicht nur eine weitere Variante der Formel, sondern eine Erweiterung oder eine Reflexion.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!