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So viel Kritik muss seinJens Fischer über „Komm!“ im Theater BremenMaximal minimal

Felix Rothenhäusler ist am Theater Bremen bekannt für seinen Minimalismus. Der Regisseur hat pro Inszenierung eine Idee, die er brachial konsequent ausführt. So legt er inhaltlich wie formal gelegentlich den Kern eines Textes frei, ignoriert aber auch stets seine Vielschichtigkeit sowie fast alle Möglichkeiten vitalen Theaters.

Meist kommen Rothenhäuslers szenische Setzungen als theatrale Installationen daher, deren Sprechmaschinen endlos Worte, Worte, Worte aussenden. Zum streng reglementierten Re-Opening des Hauses am Goetheplatz nach 14 aufführungslosen Wochen treibt er nun seine Kunst auf die Spitze: Minimalissismus. Auf Schauspieler und Bühnenbild wird verzichtet und Theater dabei zur reinen Kopfsache für isolierte Zuschauer. „Komm!“ ist die Arbeit „für eine Stimme und ein leeres Theater“ betitelt.

Am Eingang bekommt der Besucher einen frisch desinfizierten MP3-Player plus Kopfhörer, jeweils nur ein Gast darf damit ins Parkett und gleichzeitig noch einer in den ersten Rang des ansonsten menschenleeren 900-Plätze-Saals. Zu schauen ist die von allem und jedem freigeräumte Vorderbühne. Es passiert dort nichts, wirklich gar nichts, selbst die Lichtstimmung bleibt stoisch gleich. Volle Konzentration ist also gelenkt auf die suggestiv entspannenden Einflüsterungen von Nadine Geyersbach. Ihre balsamisch eingesprochenen Sätze ermöglichen eine intime Begegnungen mit den schon mal gewaltig klingenden Formulierungen des Briefromans „Hyperion“ von Friedrich Hölderlin, der „Komm! Ins Offene, Freund!“ lockt, die Liebe und die Aussicht auf eine Veränderung feiert sowie Handeln reflektiert für eine „bessere Zeit, eine schönere Welt“.

Während drumherum das Chaos gärt, wie es in der eleganten Bremer Textfassung heißt – mitten in eine Pandemie. Mit Sätzen Hyperions flüchtet Ge­yersbach in die Schönheit der Natur, ihr Erleben bekommt eine symbolische Anmutung. Gefühlsausschüttung und Denken sind ineinander verwoben – beim Blickewandern übers weite Blau des Meeres, hinauf in den Äther, durch blätterrauschenden Wald. Unermüdlich auf der Suche nach Geborgenheit, nach Sinn – auf dem Weg zu sich selbst.

So ziemlich gestrichen ist Hölderlins Versuch, seine moderne Verlorenheit durch Rückgriff auf den antiken Mythos zu erlösen. Rothenhäusler fokussiert eher die Forderung nach unbeschädigtem Leben im philosophisch drängenden Impetus des Werkes, eins sein zu wollen mit allem, was lebt. Wird dies formuliert, fliegen per Klangzuspielung Insekten durch die Worte wie in einem paradiesischen Idyll. Bei Hölderlin entstand das haltlose Sehnen unter anderem aus Enttäuschung über den Wandel der französischen Revolution in ein Schlachthaus der Ideale und Menschen, die Besucher können mit den Verwerfungen und Verstörungen ihres gelockerten Lockdown-Alltags andocken.

100 Termine: 26. 6. und 3. 7., ab 17 Uhr, sowie 27./28. 6., 4./5. 7. und 11. 7., ab 14 Uhr, und 12. 7., ab 10 Uhr, jeweils halbstündig

So schön „Komm!“ als hörspielendes Denkstück funktioniert, etwa mit eisig knisterndem Soundtrack bei der Schneewanderung Hyperions, so fade ist die musikalische Untermalung. Anfangs arbeitet sie mit monomanisch wiederholten Musikphrasen, später mit synthetisch auf und ab schwellendem Dräuen, allesamt billige, unsinnliche Klänge wider die sinnlich-hymnische Sprachmusik. Trotzdem funktioniert das knapp einstündige Abtauchen in des Theaters Leere und der Gedanken Fülle als meditatives Kunsterlebnis. Manchmal genügt sie eben doch, die eine Inszenierungsidee.

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