So verschwand Deutschland in einer einzigen warmen Berlin Sommernacht: Am Euro-Stammtisch
Erwachsen
von Martin
Reichert
Glücklich, wer an einem Sommerabend mit einem Freund bei einem kühlen Glas Bier beieinandersitzt und das Weltgeschehen auseinanderpflückt. Am schönsten ist das mit einem Freund, der aus der Schweiz kommt und den ich stets nur in dunklen Kaschemmen treffe – als wir uns neulich am helllichten Tag trafen, waren wir beide zunächst perplex: „Du hast ja blaue Augen!“, sagte er, und ich antwortete: „Du hast ja einen ganz roten Bart!“.
Nachts sind alle Katzen grau.Doch umso schillernder und bunter sind unsere Gespräche. Aus aktuellem Anlass hatten wir uns also gestern dem Thema Griechenland gewidmet – und fanden schließlich die Lösung für alle Probleme: Deutschland muss zerschlagen werden.
Nicht mit Waffengewalt – er ist schließlich Schweizer. Und auch daher die Affinität zu eher kleiner Landesgröße. Also, der Plan geht so: Deutschland inmitten Europas ist viel zu groß, mächtig und bräsig. Und da es Deutschland ja eigentlich gar nicht gibt – ist es nicht bloß nur eine Idee? –, könnte man dieses Konvolut doch in Europa aufgehen lassen. Die Bayern könnten sich zum Beispiel mit den Österreichern und Slowenen zusammentun, die Saarländer mit den Lothringern, Luxemburgern und Moselfranken, die ihr Dasein in einem Fantasiestaat namens Rheinland-Pfalz fristen. Die Brandenburger mit den Polen … Spätestens an dieser Stelle ahnt man allerdings trotz mehrerer Biere, dass es da irgendwie auch Probleme geben könnte.
Manches Nachbarland hätte wohl doch eher keine Lust auf Verschmelzungen irgendwelcher Art. Aber whatsoever: Von Berlin aus betrachtet ist Deutschland ohnehin irgendwie wurscht, weil der Alltag sich recht europäisch gestaltet. Schließlich sitze ich hier mit einem Freund, der in seine Heimat Schweiz nur noch zum Arbeiten fährt, während mein Lebensgefährte gerade seinen Vater in Slowenien besucht. Am Nebentisch sitzen fünf Spanier, gegenüber zwei Griechen. Am Wochenende besuche ich eine Familienfeier, und sogar dort, in der „Provinz“, werden Kroatinnen, Spanier und Belgier zu Gast sein. Darauf doch gern noch ein Bier.
Die deutsche Sprache bräuchte man fürderhin lediglich im regionalen Kontext – und die bräsigen Deutschen wären wie alle anderen kleinen Länder gezwungen, andere Sprachen zu lernen. Ist man in kleinen Ländern zu Gast, wechseln die Gastgeber sofort ins Englische. In Deutschland ist dem mitnichten so. Das würde sich dann ändern. Und beim nächsten Bier war mir dann auch völlig klar, dass kein Mensch ein Land braucht, dessen gemeinsame Identität letztendlich auf der Erfahrung des Zweiten Weltkrieges fußt, weshalb man beim nächtlichen Zappen durch die Kanäle nichts als Nazi-Dokus findet.
Heute Morgen dann, bei Lichte betrachtet, waren die Katzen dann wieder schwarz, weiß und getigert anstatt nur grau. Ich musste lachen bei dem Gedanken, dass wir zwei Kneipengeostrategen gestern einfach ganz Deutschland abgeschafft hatten – zum Wohle Europas.
Doch dann, auf dem Weg zur Arbeit, sah ich die Titelseite der Bild-Zeitung: Angela Merkel mit einem Preußenhelm auf dem Kopf, Überschrift: „Warum wir heute eine eiserne Kanzlerin brauchen“. Griechen in die Knie zwingen und so. Vielleicht war unsere Idee alles andere als eine Schnapsidee.
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