: So nah und doch so fern
Was für München die Berge sind, ist für Hamburg die Elblandschaft mit dem Strom, der steifen Brise und den Kühen hinterm Deich. Da, wo der Fluss zum Meer wird, lässt sich ganz gut Urlaub machen, Schiffe kucken inklusive
aus Hamburggernot knödler
Nicht gerade der wilde Wilde Westen, aber doch die rauhe, rauhe Meereswelt fängt gleich hinter Hamburg an. Wer‘s nicht glaubt, muss bloß bei schlechtem Wetter am Strom spazieren gehen: Wenn der Regen waagerecht die Elbe hochfliegt, ist man ohne Ölzeug in kürzester Zeit patschnass. Ganz klar: Hier ist Küste – mit berghohen Deichen, Leuchttürmen, Prielen und Schiffen, wie man sie auf See kaum zu sehen kriegt.
Einen guten Überblick verschafft die Fahrt mit dem Katamaran, der von den St. Pauli-Landungsbrücken aus jeden Morgen um neun nach Helgoland düst. Zwei Stunden braucht er für die Fahrt bis zur Elbmündung, eine weitere bis zu der Hochseeinsel. Vier Stunden Aufenthalt reichen für einen Spaziergang an den Vogelfelsen vorbei zur langen Anna und zum zollfreien Kauf einer Flasche Whisky.
Unterwegs hält der Katamaran am „Willkomm-Höft“ in Wedel, wo fünf ehrenamtliche Freunde der Seefahrt jedes große Schiff begrüßen und verabschieden, das den Hamburger Hafen anläuft: Sie ziehen dessen Flagge auf und spielen scheppernd die passende Nationalhymne. Wedel hat einen Yachthafen mit 2.000 Sportbooten und fünf Segelvereinen. Auf dem Marktplatz steht der unvermeidliche Roland. Mit verhaltenen zwölf Knoten düst der Katamaran auf der Elbe weiter, ohne Halt vorbei an Glückstadt, wo die Brackwasserzone beginnt, bis nach Cuxhaven an der Elbmündung. Hier riecht es schon richtig nach Meer. Die Stadt ist hässlich, der Hafen authentisch.
Landseitig lässt sich dieser Weg nördlich wie südlich der Elbe gut mit dem Fahrrad zurücklegen. Als Fernrouten sind der Elberadweg und der Nordseeküstenradweg ausgeschildert. Dazu kommen lokale Tourenvorschläge. Das Fahrrad ist ideal, um die engen Sträßchen in der Elbmarsch hinter Wedel entlangzufahren. Am Wegesrand lauert so manche Sehenswürdigkeit, etwa das kleine Heimatmuseum, das der Kulturverein Haseldorfer Marsch in einem ehemaligen Bauern- und Handwerkerhaus eingerichtet hat: die „Bandreißerkate“. Der 76-jährige Bandreißer Ernst-Otto Gehn führt hier vor, wie Weidenruten der Länge nach gespalten und zu Fassreifen gebogen wurden. Die verwilderten Reste der Weidenplantagen, die das Material lieferten, sind am Wegesrand zu sehen.
Unser Weg führt durch Obstwiesen und Viehweiden, durch Straßendörfer mit Reetdachhäusern und holzverkleideten Giebeln. Die Flüsschen Pinnau und Krückau gilt es auf Sperrwerken zu überqueren. Wie die Elbe sind sie dem Einfluss der Tide ausgesetzt und daher eingedeicht. Außer bei Sturmflut werden die Sperrwerke nur einmal in der Stunde geschlossen, um den Verkehr passieren zu lassen: an der Pinnau jeweils viertel vor, an der Krückau zur vollen Stunde.
Die Krückau kann auch auf altertümliche Art überquert werden: In Kronsnest gibt es eine nachgebaute Wrigg-Fähre, einen flachen Kahn, der dadurch angetrieben wird, dass der Fährmann mit einem langen Ruder Achter schlägt. Die Fahrt ist nur wenige Meter weit. An der breiteren Stör hinter Glückstadt gibt es noch eine Seilfähre, die mit Hilfe eines 50-PS-Motors sogar Autos übersetzen kann.
Glückstadt ist 1617 vom dänischen König Christian IV. gegründet worden, eine polygonale Radialstadt vom Reißbrett, die Hamburg Konkurrenz machen sollte. „An der Kirche liegt noch ein Anker, der vom Führungsschiff der Hamburger Flotte erbeutet wurde“, erzählt Bürgervorsteher Martin Meiners. Große Teile des Stadtkerns stehen unter Denkmalschutz.
Zwar hat der letzte Heringslogger 1974 im Glückstädter Hafen angelegt, doch die Glückstädter sind noch heute stolz auf ihren Matjes-Hering. Schockgefrostet wird er ins Städtchen gebracht, aufgetaut und ausgenommen bis auf ein Stück Enddarm. Die darin enthaltenen Enzyme lassen ihn natürlich reifen, so dass er besonders zart wird.
In Glückstadt wurde 1853 die Rigmor gebaut, Deutschlands ältestes funktionstüchtiges Segelschiff. Der ehemalige Zollkreuzer kann gechartert werden. Jeden Sonntag ab elf und ab 14 Uhr bieten Skipper Kai Bruhn und seine Crew offene Ausfahrten an: drei bis vier Stunden für 20 Euro pro Nase. Fahrgäste kriegen eine Schwimmweste und das Gebot „Immer eine Hand am Schiff!“, denn die Rigmoor hat keine Reling.
Wer auf die Seefahrt steht, sollte schließlich Brunsbüttel besuchen. Hier liegt die Einfahrt zum Nord-Ostsee-Kanal mit ihren Schleusen. Selbst die alten Anlagen von 1895, die bereits 1909 bis 1914 um größere ergänzt wurden, funktionieren noch. In einem Museum werden mit Fotos, Gemälden und Modellen der Bau des Kanals und die Schleusen erklärt. Um Touristen und Unternehmer auf sich aufmerksam zu machen, feiern die Brunsbütteler jeweils in der Woche nach der Kieler Woche Kanalgeburtstag. Die extragroße Party zum 111. Kanalgeburtstag ist fast schon geritzt. Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) hat zugesagt, die Schirmherrschaft zu übernehmen.