: So ist die Welt noch zu retten
Ehrlich währt am längsten: neun unpopuläre, aber unausweichliche Schritte, um diesem Planeten eine Chance zu geben
VON NICK REIMER
1. Schluss mit dem Selbstbetrug: Die Deutschen müssen bekennen, üble Klimasünder zu sein.
Gern und zunehmend wird beim Klimaschutz mit dem Finger auf die USA gezeigt: Das sind die Schlimmsten! Natürlich stimmt das. Es stimmt aber auch, dass Deutschland die Atmosphäre als Kohlendioxid-Müllkippe benutzt wie kein anderes Land in Europa. Es gibt nur fünf Länder, die mehr Kohlendioxid emittieren: Japan, Indien, China, Russland und die USA. Kein Wunder – dort leben deutlich mehr Menschen. Wer also fordert, die anderen sollten endlich mehr Klimaschutz betreiben, wir Deutschen täten ja schon so viel, ist schon disqualifiziert.
2. Wer Kohlendioxid produziert, soll kräftig dafür zahlen.
Haus- und Wohnungsbesitzer spüren es unmittelbarer als Mieter: Die Müllabfuhr kostet. Ziemlich viel sogar. Schon deshalb haben sie eine kluge Strategie entwickelt, Kosten zu drücken: Die Verpackung lassen sie gleich im Laden. Das hat dazu geführt, dass die Händler ihre Lieferanten gedrängt haben, weniger Verpackung zu verwenden, schließlich bleiben sie auf den Kosten der Entsorgung sitzen.
Was für den Hausmüll gilt, muss auch für den Klimamüll gelten: Zahlen muss der Verursacher. Das ist die ursprüngliche Idee des Zertifikatehandels mit Kohlendioxid. Aber weil Klimamüll unsichtbar ist, wird er in Aktien gehandelt: Jeder Produzent bekommt eine bestimmte Menge Aktien zugeteilt. Wer Müll spart, kann die überzähligen Aktien verkaufen – wer mehr Müll als erlaubt produziert, muss Aktien dazukaufen. Gute Sache eigentlich, denn auf diese Weise rechnet sich Klimaschutz betriebswirtschaftlich. Dumm nur, dass die Politik ihr eigenes System torpediert: Rot-Grün etwa hat viel mehr Verschmutzungsrechte ausgegeben, als insgesamt an Dreck erzeugt wurde. Und Schwarz-Rot macht den gleichen Fehler noch einmal. Die Folge: Kohlendioxid ist nichts mehr wert. Eine Tonne, die vor einem Jahr noch 30 Euro kostete, wird heute für 2,20 Euro an der Börse gehandelt.
3. Der Bundesumweltminister gehört entlassen. Der Wirtschaftsminister sowieso.
So lohnt sich Müllvermeidung natürlich nicht. Deshalb ist ausgesprochen peinlich, was Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) und Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) in den letzten Wochen angekündigt haben: Sie wollen tatsächlich 12 Millionen Verschmutzungsrechte mehr ausgeben, als die Industrie überhaupt braucht.
Natürlich wissen beide, dass die Entsorgung des Kohlendioxid-Abfalls bezahlt werden muss. Schade, dass es keine Gewerkschaft für Kohlendioxid-Müllmänner gibt: 2,20 Stundenlohn würden die bekommen, der Streik wäre vorprogrammiert.
Da hilft nur, Wirtschafts- und Umweltministerium abzuschaffen – zugunsten eines Klimaministeriums. Abteilungen wie Naturschutz, Chemikalienpolitik oder Luftreinhaltung übernimmt das Landwirtschafts- und Verbraucherministerium, Politikfelder wie Ausbildung oder Außenwirtschaft das Arbeitsministerium. Alles andere ist dann Klimapolitik, der endlose Profilierungsdrang beider Minister hätte endlich ein Ende.
Die neue Klimaministerin müsste in den ersten 100 Tagen eine weitere Stufe der Ökosteuer durchsetzen, die Menge der ausgegebenen CO2-Zertifikate um 10 Prozent kürzen, die Produktion von Autos verbieten, die mehr als 100 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer verursachen, Flugbenzin besteuern sowie einen Baustopp über die neuen Braunkohlekraftwerke von RWE und Vattenfall verhängen, solange sie nicht CO2 abscheiden.
4. Braunkohlekraftwerke gehören abgeschaltet, Atomkraftwerke eh.
Derart große Energieproduzenten verhindern die dezentrale Stromgewinnung. Dabei ist längst klar: Es geht auch anders. Der Atomkonzern EnBW testet an der Nordsee sehr erfolgreich Wellenkraftwerke: Der Druck der Welle verdichtet Luft in einer Kammer, die sich dann über einen Generator entlädt. Und in New York gewinnen Unterwasserpropeller erstmals Strom aus der Strömung des East River. Es gibt längst Solardächer für jeden Haushalt, Autos, die mit Brennstoffzellen fahren, Biogas, das aus Gülle gewonnen wird – alle Verfahren sind deutlich effizienter als die großen Anlagen.
Fossile Kraftwerke und Kernreaktoren hingegen nutzen nur einen geringen Teil der Primärenergie, 30 bis 40 Prozent. Der Rest geht als Abwärme verloren. Solange sie im großen Maßstab Energie liefern, werden sich die kleinen dezentralen nicht durchsetzen können.
5. Ob die Welt gerettet wird, entscheidet jeder selbst – indem er den Stromanbieter wechselt.
Ungeduld mit der Politik ist berechtigt – aber auch bequem. Dabei fängt Klimaschutz bei jedem Einzelnen an. Schon heute kann jeder klimakillerfrei fernsehen, Tee kochen und im Netz surfen. Vor der Liberalisierung des Strommarktes Ende der 90er-Jahre haben 60 Prozent der Deutschen erklärt, auf sauberen Strom umsteigen zu wollen. Hätte nur die Hälfte von ihnen Wort gehalten, gäbe es heute weder RWE-Baustellen noch Vattenfall-Pläne für neue Braunkohlenkraftwerke. Schon 30 Prozent Ökostrom-Kunden hätten die Erkenntnis bei den Energiekonzerne wecken können, dass klimakillenden Dreckstrom keiner mehr kaufen will.
Ökostrom aus 100 Prozent regenerativer Energie gibt es schon bei vier Anbietern: Lichtblick, Greenenergy, Naturstrom und den Elektrizitätswerken Schönau. Wer glaubt, mit seinem etwas teureren „Ökostrom“ auf der sicheren Seite zu sein, irrt – auch Bewag oder EnBW z. B. reinvestieren den höheren Betrag wieder in Kraftwerke mit vorgestriger Technologie. 30 Prozent Ökostrom, und Eon hätte längst seinen dritten Offshore-Windpark ans Netz gekoppelt.
6. Fleischessen gehört verboten.
Vegetarier sind die besseren Menschen. Denn Fleisch zu essen zerstört das Klima. Die Welternährungsorganisation WHO hat ermittelt, dass die weltweite Tierproduktion für 18 Prozent der Treibhausgase verantwortlich ist. Das ist mehr, als der gesamte Transportsektor verschlingt.
7. Jeder muss mindestens einen Baum pflanzen.
Bäume können wirklich helfen, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Denn durch Photosynthese und die nachfolgenden Prozesse wird das schädliche Kohlendioxid in gewachsenes Holz umgesetzt. Wälder sind gigantische Kohlenstoff-Speicher: In bis zu 400 Tonnen Holz pro Hektar lagern sie 200 Tonnen Kohlenstoff ein. In der Biomasse der Wälder weltweit sind gigantische 600 Milliarden Tonnen Kohlenstoff gespeichert.
Das Dumme ist nur: Es sterben mehr Bäume, als neue hinzukommen. Brandrodung, illegaler Holzschlag, Raubbau – Waldzerstörung „produziert“ jedes Jahr 25 Prozent der Treibhausgase. Alles für die Menschen in den Industrieländern: Aus brasilianischen Urwäldern werden McDonald’s-Rinder-Weiden, aus indonesischen Hölzern OBI-Gartenmöbel. Möglich ist das, weil der Bundesumweltminister sich nicht um das Urwaldschutzgesetz kümmert. Und natürlich, weil kaum ein Verbraucher nach dem FSC-Siegel für ökologisch erzeugtes Holz fragt. Kein Wunder, dass die Händler dann nicht wissen, was der Kunde meint.
8. Fliegen wird künftig nicht mehr erlaubt. Wenn es wirklich einmal sein muss, dann nur mit Atmosfair-Anteil.
Nichts trägt stärker zur Erderwärmung bei als der Flugverkehr. Das britische Tyndall-Institut hat im Auftrag der Vereinten Nationen hochgerechnet, dass im Jahr 2040 allein die zivile Luftfahrt jene Treibhauswirkung entfalten wird, die in der Europäischen Union dann insgesamt noch erlaubt sein dürfte. Vorausgesetzt, man will die globale Erwärmung im bisherigen Rahmen halten.
Dem kann nur mit absoluter Flugverweigerung begegnet werden. Wer dennoch unbedingt sündigen muss, sollte sich einen Ablassschein kaufen: Die Ausgleichsagentur Atmosfair berechnet jedem Reisenden die individuelle Klimaschuld. Der Kunde zahlt dafür und Atmosfair investiert das Geld in den globalen Klimaschutz.
9. Alle Bundestagsabgeordneten müssen konkret klimapolitische Verantwortung übernehmen.
Post aus Berlin: JedeR Abgeordnete muss seinen WählerInnen mitteilen, was er oder sie gegen die Erderwärmung politisch unternimmt. Ist die Auskunft unzureichend, muss er das Mandat freimachen für BürgerInnen, die es besser können.
Von Nick Reimer erscheint gemeinsam mit Toralf Staud im Mai „Der Klimawandel ist da – so ist die Welt noch zu retten“ (Kiepenheuer & Witsch)