Smartphone-Software „Joyn“: Herz-Lungenmaschine für die SMS
Die Mobilfunkanbieter verlieren Geld, weil immer mehr Nutzer statt überteuerter SMS billige Kommunikationsdienste wie iMessage oder WhatsApp nutzen. Nun kommt der Gegenschlag.
Der Short Message Service, kurz SMS, ist seit Mitte der 90er Jahre für die Mobilfunknetzbetreiber das, was man eine Gelddruckmaschine nennt: Technisch anspruchslos und von der benötigten Bandbreite kaum der Rede wert, zahlen die meisten Nutzer nach wie vor mindestens 9 Cent pro Textbotschaft, sollten sie keinen teuren Pauschaltarif nutzen.
SMS ist ein klassischer Fall von gelungener Kundenindoktrination: Wir zahlen, weil wir es gewohnt sind. Im Internet käme dagegen niemand auf die Idee, für eine deutlich längere und potenziell mit Multimedia-Elementen gespickte Email auch nur einen halben Cent auszugeben.
Allerdings beginnt das Zeitalter der SMS langsam unterzugehen – zumindest bei den jüngeren Nutzern und jenen mit Smartphones. So bietet Apple auf jedem seiner iOS-Geräte mittlerweile den Dienst iMessage an, mit dem man auch Videos versenden kann. Nutzer einer Datenflatrate zahlen dafür nichts extra, da die Botschaften per Internet versendet wird.
Ähnlich sieht es bei Konkurrenzangeboten wie Google Talk, WhatsApp oder Blackberry Messenger aus: Alles Internet-gestützte Services. Die Mobilfunkanbieter sehen nur noch ein paar vorbeirauschende Datenpakete, aber keine 9 Cent pro 160 Zeichen.
Gegen den Niedergang der SMS
Um den sich beschleunigenden Niedergang der SMS zu umgehen, haben sich die internationalen Telekommunikationsunternehmen nun zusammengefunden, um eine eigene Alternative zu iMessage, WhatsApp und Co. zu schaffen. Das Angebot trägt den Namen „Rich Communication Suite-enhanced“, kurz RCS-e. Da sich das niemand merken kann, wurde parallel die Markenbezeichnung „Joyn“ erdacht – als Kombination der englischen Wörter „Join“ (teilnehmen) und „Joy“ (Freude).
Ob die Teilnahme an Joyn tatsächlich Freude macht, ist allerdings noch nicht gesagt. In Deutschland wollen sich mindestens Deutsche Telekom und Vodafone beteiligen, letzterer Konzern startet den Rollout im Mai. Verfügbar sind neben Textchats auch Videotelefonate und der Austausch von Fotos.
Vorteil von Joyn soll zunächst sein, dass die Technik, ähnlich wie bei SMS, mit den unterschiedlichsten Geräten kompatibel ist. Das bleibt zunächst allerdings ein frommer Wunsch: So baut Vodafone das Verfahren erst einmal nur in seine Version des Samsung Galaxy S II ein, weitere Geräte sollen folgen.
Wer Joyn nicht in seinem Gerät eingebaut hat, muss sich eine App herunterladen, die es etwa für Apples iOS geben soll. Dabei stellt sich allerdings die Frage, warum man nicht gleich zu WhatsApp und Konsorten greift: Auch diese Dienste sind häufig für unterschiedliche Hardware zu haben. Joyn soll deshalb mit einigen Spezialfunktionen punkten, darunter der Anpassung der Kommunikationsmöglichkeiten an die aktuelle Verbindungsqualität – ist das Netz gerade schlecht, sind Kameragespräche nicht möglich.
Und hinterher wird gezahlt
Die große Frage, die sich bei Joyn stellt, ist der Preis. Den Versuch, pro Botschaft abzurechnen, scheinen die Netzbetreiber zunächst aufgegeben zu haben – es wäre vermutlich genauso vergebliche Liebesmüh, wie Email im Nachhinein zu bepreisen. (Die Deutsche Post erlebt dies gerade beim „E-Postbrief“ hautnah.)
Stattdessen könnte Joyn beispielsweise Teil einer Internet-Flatrate sein, die sich die Mobilfunkfirmen teuer bezahlen lassen – kauft man sie nicht mit, gibt es auch kein RCS-e. Vodafone versucht das ab Mai vermutlich so, wie Telekom (ab Sommer) und O2 (dito) ihre Strategie gestalten, bleibt abzuwarten.
Neben der Bepreisungsproblematik bleibt noch die Kompatibilität unter den Netzanbietern. SMS sind auch deshalb so erfolgreich geworden, weil es ausreicht, nur die Rufnummer des Kommunikationspartners zu kennen. Wenn Joyn nicht in jedem Netz und auf (fast) jedem Handy verfügbar ist, wird niemand den Dienst nutzen.
So äußert sich in Deutschland etwa E-Plus bislang zurückhaltend: Man wolle zunächst beobachten, wie sich die Kundenrelevanz entwickle, heißt es von dem Unternehmen. Joyn muss also zunächst damit rechnen, ein Underdog zu bleiben – allein WhatsApp hat mittlerweile mehr als 15 Millionen Mitglieder.
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