BETTINA RADDATZ, DER SPITZENKANDIDAT : Smarter Schläger tot
Das Marketing mancher Verlage hat dem Regionalkrimi zu einiger Verbreitung verholfen – und zu einem zweifelhaften Ruf. Sind Regionalkrimis wirklich so provinziell? Das will diese Serie in loser Folge ergründen.
Er ist der neue Polit-Star in Niedersachsen, der seine Partei kurz vor den nächsten Landtagswahlen in bis dato unbekannte Umfragehöhen katapultiert: Uwe Stein, das Mordopfer in Bettina Raddatz’ erstem Krimi.
Ein junger, smarter Jurist ist er, ein Frauenschwarm, der sogar noch richtig gut Fernsehen gut ankommt. Doch im Laufe der Mordermittlungen unter der Leitung von Kommissarin Verena Hauser kommt eine andere Seite des Spitzenkandidaten zum Vorschein: eine dunkle. Er hat Affären und verprügelt immer wieder seine Ehefrau. Einer Liebhaberin verspricht er eine gemeinsame Zukunft, doch er hält sich nicht dran, obwohl sie für ihn ihre Familie verlässt. Als Anwalt hat Stein Geschäfte gemacht mit einem russischen Waffenhändler, der Bürgerkriegsparteien in Afrika und im Nahen Osten versorgt. Und nun fordert der Geld vom Politiker. Sein Druckmittel: Das Leben von Steins kleiner Tochter.
Nicht alles kann Kommissarin Hauser vollständig aufdecken. Und das, was sie herausfindet, wird wieder vertuscht in der Zentrale von Steins bürgerlicher Partei, in der sein eigentlich unterlegener innerparteilicher Gegner das Erbe des verstorbenen Spitzenkandidaten übernimmt.
So wie andere Regionalkrimis ihre Leser durch die Landstriche führen, so stellt Raddatz den Lesern einen erfundenen Politikbetrieb in Hannover vor. Die Handlung sei Fiktion, steht im Buch, doch die Autorin ist seit Jahren Beamtin in der niedersächsischen Staatskanzlei und hat im nahen Umfeld von Gerhard Schröder gearbeitet. Raddatz’ Autorenschaft ist das Versprechen, dass ihr Szenario mindestens im Ansatz realistisch beschrieben wird.
Das Buch ist flüssig zu lesen und die Handlung ist so komponiert, dass der Leser hineingezogen wird. Doch Raddatz macht das durch ihren voll beladenen und überzeichneten Plot immer mal wieder kaputt.
Es gibt zu viele Nebenschauplätze mit eigenen Themen: So geht es auch um Kapitalismuskritik, wenn der Betriebsrat eines Industriebetriebs in Verdacht gerät. Er fürchtet unter einem Ministerpräsidenten Stein den Verkauf seines Betriebs.
Raddatz zeichnet ein sehr einfaches Bild. Sie beschreibt die Mächtigen so, wie es auch eine Stammtischrunde tun würde. Sie kungeln, mauscheln, drohen – nur um an der Macht zu bleiben und kommen damit durch. Wer zu viel weiß, bekommt wichtige Posten.
Das macht die Handlung erahnbar. Und auch anderes ist arg klischeehaft: Schläger Stein wurde in einer Vergewaltigung gezeugt und sein Stiefvater verprügelte ihn. Und zu guter Letzt wird sein Kind gerettet – mit Hilfe der italienischen Mafia.DANIEL KUMMETZ
Bettina Raddatz, Der Spitzenkandidat, Braunmüller Literaturverlag 2011, 428 S., 19,95 Euro