Slutwalk in Berlin: Nicht jeder darf Schlampe sein
Wieder einmal zog ein Slutwalk durch Berlin. Was als Protest gegen Sexismus begann, ist inzwischen eine Party geworden.
Plötzlich stürmt die Meute der Fotografen los. Nachdem die ersten Minuten der Demonstration verhältnismäßig ruhig vor sich hin plätscherten, erscheint nun endlich das Motiv, auf das die meisten Pressevertreter gewartet zu haben scheinen – denn auch auf dem Slutwalk heißt es offenbar: „Sex sells!“
Drei barbusige Frauen, den Körper mit schwarzer Farbe bemalt, stehen im Getümmel und halten stumm schweigend ihre mit Parolen beschrifteten Schilder in die Höhe. „Unveil Womens right to unveil“ ist dort zum Beispiel zu lesen. Das Blitzlichtgewitter nimmt kein Ende. Die umstehenden Polizisten wirken schüchtern bis verwirrt.
Es ist anzunehmen, dass sie thematisch vorbereitet wurden. Angesichts der Geschichte des Slutwalks ist das kein Wunder. Alles begann mit der Äußerung eines kanadischen Polizeibeamten. Als dieser vor über einem Jahr einen Vortrag über präventive Verbrechensbekämpfung an einer Universität hielt, fiel der Satz, der als auslösendes Ereignis bezeichnet werden kann. „Frauen sollten vermeiden, sich wie Schlampen anzuziehen, um nicht zum Opfer zu werden.“ Als Reaktion auf dieses Statement wurden unter anderem die weltweit stattfindenden Slutwalks, Schlampenläufe, veranstaltet, von denen es inzwischen auch Ableger im Iran, in Südafrika, im Kongo und in Pakistan gibt.
Bereits nach wenigen Metern erreicht der Zug die russische Botschaft. Sowohl die Beamten als auch die Veranstalter scheinen hier mit Protesten zu rechnen, viele der Anwesenden sind Sympathisanten von Pussy Riot, einige tragen bunte Wollmasken. Doch nichts passiert. Die Musik läuft weiter, eine fröhliche Gruppe stößt mit Sekt an, es wird getrommelt. Kurzzeitig wird die Musik unterbrochen, und man hofft auf einen aufklärenden Redebeitrag. Es wird allerdings nur ein Text verlesen, in dem darum gebeten wird, respektvoll mit den TeilnehmerInnen umzugehen. Sollte dies nicht der Fall sein, könne man sich an die OrdnerInnen wenden. Nun gut, die Chance vor der russischen Botschaft wurde verpasst, aber da kommt ja mit Sicherheit noch was.
Wenige hundert Meter weiter steht immerhin das Familienministerium, quasi eine der ersten Anlaufstellen für krude Frauen- und Familienpolitik. Doch auch hier wird weder ein Redebeitrag verlesen noch auf das Gebäude hingewiesen, es fliegen keine Farbeier. Es bleibt noch nicht einmal jemand stehen, außer um sich die Schuhe zuzubinden. Einzig von einem gegenüberliegenden Balkon wird frenetisch gewunken und mit einer Deutschlandfahne gewedelt. Viele Anwesenden scheinen sich, genau wie die Frau auf dem Balkon, selbst nicht sicher zu sein, ob das Ganze eigentlich eine Party oder eine Demonstration ist.
„Die Würde der Schlampe ist unantastbar“ hat eine junge Frau auf ein Schild geschrieben und damit definitiv die schönste Parole des Tages kreiert. Die umstehenden Berlinbesucher wissen noch nicht so richtig, was sie davon halten sollen. Es werden zwar zweisprachige Flugblätter verteilt, allerdings wird hier scheinbar nach optischer Sympathie entschieden, wer eines kriegt und wer nicht. „Wollt ihr das wirklich haben?“, fragt eine der Ordnerinnen, als zwei auf den ersten Blick nicht ins Raster passende junge Menschen nach einem Flugblatt fragen. Die beiden bejahen und lachen, warum sollen sie das auch nicht lesen dürfen?
Natürlich hat einer der Teilnehmer recht, als er feststellt: „Mit jedem Tag meines Lebens vergrößert sich der Kreis der Menschen, die mich am Arsch lecken können.“ Aber dennoch sollte man auch fähig sein, auf andere Menschen zuzugehen. Selbst die beiläufige Erwähnung der für den Abend noch anstehenden „Don Juan“-Premiere in der Volksbühne wird hier misstrauisch zur Kenntnis genommen.
Auf einmal wird es etwas hektisch. Einem übereifrigen Jungspund der Berliner Polizei ist aufgefallen, dass die pinke Wollmaske einer Teilnehmerin „nach Paragraf 17a Absatz 2 eine Vermummung darstellt“. Der ältere Gruppenführer beruhigt den Neuling, man dürfe das hier nicht so eng sehen. „Außerdem ist das in diesem Fall wahrscheinlich besser so“, fügt er augenzwinkernd hinzu und erntet schallendes Gelächter in der gesamten Kompanie. Es scheinen noch eine Menge solcher Veranstaltungen vonnöten zu sein.
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