Slowenien übernimmt EU-Präsidentschaft: Weg vom Balkan
Am 1. Januar hat mit Slowenien erstmals ein osteuropäisches Land die Präsidentschaft der EU übernommen - der krönende Abschluss der Entwicklung, die Slowenien seit seiner Unabhängigkeit vollzogen hat.
LJUBLJANA taz "Das Hauptproblem unserer EU-Präsidentschaft wird der Kosovokonflikt sein", stöhnt Janez Lenarcic und lehnt sich in seinem Sessel zurück. Der smarte Enddreißiger ist Staatssekretär für europäische Angelegenheiten und wird in den kommenden sechs Monaten einer der wichtigsten Politiker Sloweniens sein. Auch mit Kroatien, fährt er fort, gebe es einen Konflikt wegen der Fischereizone in der Adria. Aber der sei lösbar. Mit dem Kosovo werde das schwerer. "Unsere jugoslawische Geschichte holt uns wieder ein", sagt er.
Während der slowenischen Präsidentschaft wird sich der Status des Kosovo entscheiden. Sollte die EU die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennen, wäre ein Konflikt mit Serbien unausweichlich. Slowenien stünde als temporär führender EU-Staat an vorderster Stelle des Konflikts. Das aber weckt Erinnerungen. Schließlich war es der Kosovokonflikt, der Ende der Achtziger maßgeblich die Entscheidung der damaligen kommunistischen Führung unter dem späteren slowenischen Staatspräsidenten Milan Kucan beeinflusste, Jugoslawien zu verlassen. Nachdem der serbische Parteivorsitzende Slobodan Miloðevic im Jahr 1989 das Autonomiestatut für das Kosovo außer Kraft gesetzt hatte, zogen die Slowenen ihre Polizisten aus dem Kosovo zurück, ließen dann den letzten Parteitag des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens platzen und forderten die Demokratisierung des Gesamtstaates. Der Konflikt mit Serbien führte schließlich im Juni 1991 zur Unabhängigkeitserklärung und zum Zehntagekrieg.
Janez Lanarcic war damals ein junger Mann. Zwar diente er noch Ende der Achtzigerjahre in der jugoslawischen Armee, doch seine politische Laufbahn begann er erst später. Nicht nur seine Generation hat sich seit der Unabhängigkeit vom Balkan abgewandt. Fast alle der zwei Millionen Slowenen wollten danach die jugoslawische Vergangenheit hinter sich lassen und orientierten sich an der EU. In den Medien wurde zwar über die folgenden Kriege berichtet, aber im Gefühl der Bevölkerung lag Ljubljana fortan näher an Berlin oder Paris als an Zagreb oder gar Belgrad.
Slowenien ist rund 20.000 Quadratkilometer groß und hat zwei Millionen Einwohner. Am 25. Juni 1991 erklärte die vormalige jugoslawische Teilrepublik ihre Unabhängigkeit und setzte sie in einem Zehntagekrieg gegen die jugoslawische Armee durch.
Im März 2004 wurde das Land in die Nato aufgenommen, im Mai 2004 folgte die Aufnahme als Vollmitglied in die EU. Am 1. Januar 2007 führte Slowenien den Euro ein und ist seit dem 21. Dezember 2007 Mitglied des Schengener Abkommens.
Seit 2004 wird das Land von einer konservativen Koalition unter dem Ministerpräsidenten Janez Jansa geführt. Anfang Dezember wurde der für die Sozialdemokraten antretende Danilo Türk zum Präsidenten gewählt.
2006 verzeichnete Slowenien ein Wirtschaftswachstum von 4,7 Prozent. Die Arbeitslosenquote liegt bei 6 Prozent. Seit einigen Jahren exportiert das Land verstärkt in die Nachfolgestaaten Jugoslawiens und ist inzwischen nach Österreich der zweitgrößte Investor in dieser Region.
Die EU-Präsidentschaft soll diese Entwicklung krönen. Man hat es geschafft. "Auch wenn wir nicht zum Ostblock gehörten, ist es eine Ehre für unser Land, als erstes sozialistisches Transitionsland die Präsidentschaft zu übernehmen, sagt der Staatssekretär. "Wir haben die Wirtschaft konkurrenzfähig gemacht, haben 2005 die Kriterien für die Übernahme des Euro erfüllt und sind seit neuestem ein Schengenland", fügt er stolz hinzu. Seit dem Beitritt zum Schengener Abkommen kurz vor Weihnachten seien die Grenzen nach Italien, Österreich und Ungarn offen, aber nach Kroatien, zum alten Nachbarn und Bündnispartner im Jugoslawienkonflikt, habe man die Grenzsicherung verstärken müssen. Aussagekräftiger geht es nicht mehr.
Nun wollen die Slowenen ihr Land auf der "sonnigen Seite der Alpen", wie es in der Tourismuswerbung heißt, der europäischen Öffentlichkeit präsentieren. Die herausgeputzten Dörfer, die gute Infrastruktur, die geschichtlichen Denkmäler, die von hunderttausenden von Touristen besuchte, renovierte und pulsierende Altstadt von Ljubljana, die Wintersportorte und natürlich auch die wirtschaftlichen Erfolge. Slowenien ist schließlich Nettoeinzahler in der EU.
Die Präsidentschaft ist gut vorbereitet. Die EU-Gremien werden im Renaissanceschloss Brdo am Fuße der Karawanken zusammenkommen. Die ehemalige Residenz des immer noch respektierten Präsidenten des sozialistischen Jugoslawiens Josip Broz Tito wurde für die Tagungen und Empfänge wieder hergerichtet. Zugleich hat sich die Regierung mit den veranschlagten 60 Millionen Euro darum bemüht, die Kosten für die Präsidentschaft nicht ausufern zu lassen.
Doch ganz so idyllisch ist die Lage nicht. Vor wenigen Wochen streikten tausende Arbeiter und verlangten höhere Löhne. Die meisten müssen mit einem Einkommen um die 600 Euro auskommen, die Arbeitslosigkeit liegt bei 6 Prozent - und das bei vergleichbaren Preisen wie in der übrigen Euro-Zone. Im Oktober unterschrieben 570 Journalisten eine Erklärung, in der sie behaupteten, der konservative Ministerpräsident Janez Janða wolle die Pressefreiheit einschränken und übe Druck auf unliebsame Journalisten aus. Vor allem aber ist sich die slowenische Gesellschaft, wie es der renommierte Journalist Ali Zerdin von der Tageszeitung Dnevnik formuliert, "zwar hinsichtlich Europa einig, aber im Grunde immer noch tief gespalten".
Die Gründe dafür reichten in die Zeit der Besatzung durch die deutsche Wehrmacht und italienische Truppen zurück. Auch die gegenwärtige Konfliktlinie verlaufe zwischen den Erben der damaligen Rechten auf der einen Seite, also der katholischen Kirche, den Parteien der Rechten und der "Heimwehr", die im Verdacht der Kollaboration mit Hitler und Mussolini gestanden hatten, und den Erben der Partisanen, der Kommunisten und Freidenker auf der anderen. "Die gegenseitigen Verbrechen, die Unterdrückung der Partisanen, aber auch deren blutige Rache nach dem Krieg belasten unsere Geschichte", meint Zerdin. Nach der Unabhängigkeit hätten zwar die konservativen Parteien und die Kirche ihre Position zu den historischen Ereignissen öffentlich machen können, doch habe die folgende Diskussion nicht zu einem Ausgleich, sondern zu einer Verhärtung geführt. "Beide Seiten behaupten ihre Position und wollen der anderen Seite keinen Schritt entgegenkommen." Deshalb würden die politischen Auseinandersetzungen zwischen links und rechts immer noch erbittert geführt.
Die Demokratisierung der Gesellschaft sei von den slowenischen Kommunisten gewollt gewesen, und das zu sozialistischen Zeiten entstandene Netzwerk aus Wirtschaftsleuten, Politikern, Bürokraten und Medienleuten sei noch immer mächtig. Und für die slowenische Rechte sei es ein Problem, dass die Linke das Land in die Unabhängigkeit geführt habe.
So versucht Ministerpräsident Janez Janða seit seinem Amtsantritt, die Gewichte zwischen beiden Lagern zu verschieben. Obwohl er selbst einmal ein führendes Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation in Slowenien war, galt er in den Achtzigerjahren als Pazifist und stand deshalb vor einem jugoslawischen Militärgericht. In Wirklichkeit aber hatte er Militärwesen studiert und baute im Untergrund die slowenische Armee auf, die er als Verteidigungsminister zum Erfolg führen sollte. Trotz seiner engen Zusammenarbeit mit Präsident Milan Kucan, dem zum Sozialdemokraten gewandelten Kommunisten, bekannte er sich bald als Konservativer. Seither versucht Janða, einen Gutteil der Verdienste um die Unabhängigkeit für sich zu reklamieren. Im Folgenden war er mehrmals Verteidigungsminister in Koalitionsregierungen, ehe er im Jahr 2004 mit seiner Volkspartei die Wahlen gewann und zum Ministerpräsidenten aufstieg.
Hoffnung Präsidentschaft
Eine von Janðas ersten Maßnahmen war es, eine Diskussion über neoliberale Reformen zu beginnen - trotz der Hinwendung zum Kapitalismus haben viele Belegschaften immer noch Anteile an den Betrieben, und auch der Staat übt über Pensionsfonds und andere Mittel Einfluss auf die Betriebe aus. Einige wirtschaftsliberale Maßnahmen konnte er tatsächlich durchsetzen. Das soziale Netz bekam Löcher. Die Streiks sind eine Folge dieser Politik. Im Großen und Ganzen aber scheiterten Janðas wirtschaftsliberalen Vorhaben an Unwillen der Bevölkerung.
Sein zweites Augenmerk galt den Medien. Nachdem sich die mit ihm verbandelte Brauerei Lasko im Jahr 2006 bei der größten slowenischen Tageszeitung Delo einkaufte, versuchte Janða seinen Einfluss geltend zu machen, um die Zeitung "umzudrehen". Mehrere renommierte und als links geltende Journalisten verließen daraufhin das Blatt. Inzwischen hat die Brauerei mit Janða gebrochen.
Mit beiden seiner Vorhaben ist Janða also nicht weit gekommen. Sein Stern begann zu sinken. Die Umfragwerte für seine Regierung gingen zurück. Als es ihm zudem nicht gelang, seinen Kandidaten für das Amt des Präsidenten durchzusetzen - die Bevölkerung wählte Anfang Dezember mit großer Mehrheit den für die Sozialdemokraten kandidierenden Diplomaten Danilo Türk zum Präsidenten -, muss er nun auf die EU-Präsidentschaft hoffen, um sich wieder ins rechte Licht zu setzen. Im Herbst stehen schließlich Parlamentswahlen bevor.
Slowenien wolle alles tun, um die Nachfolgestaaten Jugoslawiens an die EU heranzuführen, erklärte Janða in den vergangenen Tagen mehrmals. Deren Zukunft liege in der EU, auch die Serbiens und des Kosovos. Slowenien werde keine eigenen Akzente setzen, sondern nur dem folgen, was die EU entscheidet, heißt es im Außenministerium. Geriete jedoch der Konflikt um das Kosovo außer Kontrolle, werde Janða zur Stelle sein, räumen sogar seine Gegner ein. Denn bei allen Schwächen, die er habe, sei der Ministerpräsident Sloweniens bestimmt nicht so naiv gegenüber den Winkelzügen balkanischer Politik wie viele europäische Politiker.
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