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Slowakischer Spitzenkandidat tritt ab

■ Ehemalige Mitarbeiter des STB auch in den Reihen des Komitees „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (VPN) / Vertrauen für den zurückgetretenen Jan Budaj / Der Leichengeruch des STB muß endlich beseitigt werden / Die Liste der STB-Zuträger wird nicht veröffentlicht werden

Bratislava (ap/taz) - Einer der Spitzenkandidaten des slowakischen Bürgerkomitees „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ (VPN), das bei den Wahlen des letzten Wochenendes vor den Christdemokraten überraschend den ersten Platz belegt hatte, Jan Budaj, hat am Abend nach der Wahl seinen Rücktritt erklärt. Budaj, in der Zeit der „Normalisierung“ oppositioneller Demokrat und im typischen Dissidentenberuf des Heizers tätig, hatte seinerzeit eine Erklärung unterschrieben, in der er sich zur Mitarbeit im Sicherheitsdienst STB verpflichtet hatte. Er erklärte jetzt, zwar das Dokument unterzeichnet zu haben, praktisch aber nie für den STB tätig gewesen zu sein. Vor allem aber habe er nie jemanden denunziert. 24 Stunden später hat die Leitung von „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ auf einer Pressekonferenz Budaj ihr volles Vertrauen ausgesprochen. Der Sprecher des Komitees forderte, den „Leichengeruch des STB“ ein für allemal zu beseitigen und einen Schlußstrich zu ziehen. „Wir sind“, sagte er, „alle gezeichnet.“ Die VPN befürchtet, daß eine Fortsetzung der Überprüfungspraxis dazu führen werde, daß „die gesamte Gesellschaft durchleuchtet und nach zwanzig Jahren wieder rehablitiert wird“. Nach der Revolution waren 15.000 Dossiers, darunter auch das Budajs, aus den Archiven verschwunden, aber kurz vor den Wahlen selektiv wiederaufgetaucht. Wie alle Parteien der Slowakei hatte sich auch VPN einer freiwilligen Überprüfung gestellt - und wie bei den anderen Parteien auch gab es daraufhin zahlreiche Rücktritte. In einer selbstkritschen Stellungnahme sprach Budaj von der Notwendigkeit, erneut um das Vertrauen der Menschen in der Slowakei zu werben. Die gegenwärtige schwierige Situation resultiere aus dem Wunsch der Menschen und auch der VPS, die Ethik zum herrschenden Prinzip der Politik zu erheben.

Was soll mit den künftigen Mitarbeitern des STB geschehen? Innenminister Meciar teilte mit, daß auf keinen Fall eine Namensliste veröffentlicht werde. Es könne nicht ausgeschlossen werden, daß es Unschuldige treffe und man wolle auf keinen Fall Familienangehörige Repressalien aussetzen. Justizminister Kosta ergänzte, man müsse von einer generellen Unschuldsvermutung ausgehen, Ermittlungen würden nur bei berechtigtem Verdacht aufgenommen werden. In Zukunft, so Kosta optimistisch, „müssen die Menschen nach ihren Qualitäten beurteilt werden“. Die 'Verejnost‘, Tageszeitung der VPN, veröffentlichte zahlreiche Briefe zur Unterstützung von Budaj. Anderer Zeitungen schrieben von Verunsicherung in der Bevölkerung. Noch immer gebe es Befürchtungen, daß der alte Apparat nicht wirklich ausgehebelt sei und die Spitzel ihre Arbeit fortsetzen würden.

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