Slowakei reaktiviert AKW: Österreich kritisiert Reaktor-Neustart
Die Slowakei will wegen der Gaskrise ein altes Kernkraftwerk reaktivieren. Österreichs Regierung wirft dem Nachbarn Vertragsbruch vor.
In Österreich herrscht Atomalarm. Seit der slowakische Ministerpräsident Robert Fico am Samstag erklärte, er werde das stillgelegte Atomkraftwerk Bohunice teilweise wieder hochfahren lassen, hagelt es Proteste. Bohunice liegt 50 Kilometer östlich der österreichischen Grenze und keine 100 Kilometer von Wien entfernt. Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) kündigte einen scharfen Protest gegen die Wiederbelebung des Meilers an, der erst im Dezember abgeschaltet worden war.
Die Stilllegung der Reaktoren von Bohunice war eine der Bedingungen für den EU-Beitritt der Slowakei. Sie entsprechen nicht dem europäischen Sicherheitsstandard. So fehlen die alles umschließenden Sicherheitsbehälter, die Notkühlung bei Bruch einer Hauptkühlleitung ist nicht gewährleistet, Leittechnik und Bedienarmaturen sind veraltet. In Österreich, wo 1978 eine Volksabstimmung die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf verhinderte, herrscht weitgehend Konsens in der Ablehnung von Atomstrom. Gegen grenznahe Kraftwerke, wie Bohunice und Mochovce in der Slowakei oder Temelin in der Tschechischen Republik, gab es zahlreiche Proteste und Demonstrationen. Gegen den Bau von zwei zusätzlichen Reaktoren in Mochovce wird mobilisiert. Außenminister Michael Spindelegger, ÖVP, ist zudem verärgert darüber, dass er von den Slowaken nicht informiert worden sei. Da es sich um einen Bruch des Vertrags mit der EU handle, so Spindelegger in der "ORF-Pressestunde am Sonntag", müsse diese überprüfen, ob es tatsächlich eine Notlage gab. "Die Gaskrise darf nicht dazu führen, bereits schrottreife Reaktoren unter dem Vorwand der Stromnot wieder in Betrieb zu nehmen oder die Risikotechnologie Atomkraft zu pushen", sekundierte Grünen-Chefin Eva Glawischnig. "Das ist ein Spiel mit dem Feuer."
Ob Bohunice wirklich ans Netz geht, hängt wohl davon ab, wann wieder russisches Gas aus der Pipeline kommt. Die Vorbereitungen sind jedenfalls getroffen. Wenn Fico den Befehl zum Hochfahren gibt, dauert es vier bis fünf Tage, bis der Reaktor wieder Strom erzeugt.
Regierungssprecherin Silvia Glendová sprach im ORF Radio von einer "befristeten Inbetriebnahme bis zur vollen Stabilisierung des Gasmarktes". Die Slowakei bezieht mehr als 98 Prozent ihres Gasbedarfs aus Russland. Allerdings werden nur etwa 10 Prozent des Strombedarfs durch Gaskraftwerke gedeckt. Premier Fico will vorher die Erlaubnis der EU einholen und hat seinen Wirtschaftsminister nach Brüssel geschickt. Am Montag erklärte er in Bratislava, sein Land stehe vor dem Energiekollaps. Auch Österreich müsse für die Notmaßnahmen Verständnis haben.
Wieder in Betrieb gehen soll auch der Atomreaktor von Kosloduj in Bulgarien, der wegen zahlreicher Störfälle immer wieder für Aufregung sorgte und auf Betreiben der EU eingemottet werden musste.
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