■ Slowakei: Das semiautoritäre, nationalistische Regime ist abgewählt: Wunsch nach Normalität
Der knappe und formale Sieger der Wahlen in der Slowakei heißt laut vorläufigem amtlichem Endergebnis Vladimir Mečiar. Doch der Sieger ist der eigentliche Verlierer der Wahlen, denn sein semiautoritäres, nationalistisches Regime ist praktisch abgewählt. Dies gilt auch dann noch, wenn das Ergebnis auf der Fälschung von einigen Prozentpunkten beruht, vor der die Opposition seit Monaten berechtigterweise gewarnt hat; selbst dann, wenn Mečiar den Auftrag zur Regierungsbildung bekommt und ein Minderheitenkabinett zusammenstellt.
Obgleich fast zwei Drittel der slowakischen Wähler nicht für Mečiar und seine bisherigen Koalitionspartner gestimmt haben, überrascht der Wahlausgang kaum. Denn schon lange zeichnete sich in den Meinungsumfragen ab, daß die bisherige Koalition ihre Parlamentsmehrheit und Mečiars regierende „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS) ihre Monopolstellung verlieren würde.
Mečiar und seine oligarchische Partei haben seit geraumer Zeit gegen immer mehr Menschen in der Slowakei und ihren Wunsch nach normalen, geregelten Verhältnissen regiert. Die Politik des slowakischen Noch-Ministerpräsidenten bestand demgegenüber in einer pausenlosen Polarisierung des öffentlichen Lebens. Seinem manichäisch-hysterischen Weltbild zufolge lauerten überall innere und äußere Feinde – die Opposition, die nicht von ihm kontrollierten Medien, die ungarische Minderheit, der Westen schlechthin. Doch Mečiars unermüdlicher und durchaus erfolgreicher Kampf gegen sie hat die Slowakei kein Stück vorangebracht. Obwohl Mečiar und seine Partei zuletzt fast unumschränkt und allein herrschten, steigt die Inflation im Land, nehmen Korruption und organisierte Kriminalität zu, wird die Zahl der Arbeitslosen größer, ziehen sich ausländische Investoren zurück und ist die Slowakei Negativbeispiel unter allen osteuropäischen Ländern.
Zwar hat eine große Mehrheit der slowakischen Wähler dieser Politik und ihren Folgen eine Absage erteilt. Doch Mečiar könnte das Wahlergebnis nun nutzen, um das umzusetzen, womit er den Wählern in einem seiner letzten Wahlkampfauftritte gedroht hat: „Ich oder das Chaos.“ Denn wenn er anders, als er es selbst vor den Wahlen angekündigt hat, den Auftrag zur Regierungsbildung im Falle einer Wahlniederlage nicht ablehnt und ein Minderheitenkabinett zusammenstellt, würde dies mindestens kurzfristig zu chaotischen politischen Verhältnissen in der Slowakei führen. Keno Verseck
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