Skiunfall von Thüringens Ministerpräsident: Der politische Patient
Mit einem Skiurlaub wollte Thüringens Ministerpräsident Althaus ins Wahljahr starten. Nun wird er aus dem Koma geholt. Dass bei dem Unfall eine Frau starb, weiß er noch nicht.
BERLIN/DRESDEN taz Die Riesneralm in der österreichischen Obersteiermark bietet vier Talabfahrten mit je 900 Metern Höhenunterschied und Längen bis zu sieben Kilometern. Das Feriengeschäft läuft, und am Neujahrsmorgen ist die Sicht gut, auch um 14.45 Uhr, als Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus eine mittelschwere, eine rote Piste nimmt, sie heißt "Die Sonnige". Im letzten Drittel trifft die Piste auf die langsamere Panorama-Abfahrt. Hier passiert es. Althaus prallt mit einer Skifahrerin zusammen.
Wie kam es zu dem Unfall?
Dieter Althaus stieß Neujahr gegen 14.45 Uhr im Skigebiet Riesneralm in der Obersteiermark an der Kreuzung zweier Pisten frontal mit einer anderen Skifahrerin zusammen. Er kam von rechts und war auf der mittelschweren Piste "Die Sonnige" unterwegs. Die Skifahrerin fuhr auf der leichteren "Panorama-Abfahrt".
Wer ist die Frau, mit der Althaus zusammenstieß?
Die 41-jährige Slowakin Beata Ch. lebte in den USA. Die vierfache Mutter war mit ihrem Mann auf der Piste unterwegs. Ihr jüngstes Kind ist ein Jahr alt. Der Polizei zufolge war die Frau Sportlehrerin und erfahrene Skifahrerin. Sie starb im Rettungshubschrauber.
Wer trägt die Schuld?
Die Schuldfrage ist noch ungeklärt. Es gibt keine Augenzeugen. Sowohl der Mann von Beata Ch. als auch Althaus Leibwächter kamen erst nach dem Unfall dazu. Die Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen. Ein Sachverständiger soll jetzt klären, wie schnell beide Skifahrer unterwegs waren. Am Unglücksort ermahnt ein Schild die Skifahrer zum Langsamfahren, die Piste war erst verbreitert worden. Bislang gab es dort keine Unfälle.
Welche Skiregeln gibt es?
Es gelten die Vorschriften des Internationalen Skiverbands FIS, die aber recht schwammig sind. Demnach hat immer der Vorfahrt, der vorne fährt. Die Vorfahrtsregel "rechts vor links" gibt es nach Angaben des österreichischen Skiverbands in Österreich dagegen nicht.
Wie gefährlich ist Skifahren?
Rund 4,2 Millionen Deutsche fahren Schätzungen zufolge Ski. Mehr als 50.000 Skifahrer verunglücken im Jahr, 8.000 schwer.
Was bringt ein Helm?
Der Helm hat Althaus nach Einschätzung der Ärzte wohl das Leben gerettet. Die verstorbene Skifahrerin hatte keinen Helm getragen. Studien norwegischer Sportwissenschaftler zufolge sinkt das Risiko für Kopfverletzungen mit Helm um 60 Prozent. Ein Viertel der erwachsenen Skifahrer trägt einen Helm.
Wie verletzt ist Althaus?
Neben einem Knochenbruch im Gesicht erlitt Althaus ein Schädelhirntrauma, eine Schädelverletzung, bei der auch das Hirn betroffen ist. Bei Althaus handelt es sich um Verletzungen der Kopfschwarte und des knöchernen Schädels. DAZ
Niemand, so erklärt es später die Polizei, beobachtet den Zusammenstoß. Ein Leibwächter, der Althaus begleitet, sei erst später zum Unfallort gekommen. Die 41 Jahre alte Frau, eine vierfache Mutter, wird mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus gebracht. Noch auf dem Weg stirbt sie. Althaus, berichten die Behörden, ist unmittelbar nach dem Unfall noch ansprechbar, er sitzt, als ihn die Leute von der Pistenrettung behandeln, und deutet auf die verletzte Frau, die Hilfe brauche. In einem Akia-Schlitten transportieren sie ihn zur Talstation. Dort ruft ein Sanitäter eine Notärztin, kurz vor vier übernimmt diese, ein Hubschrauber fliegt den Ministerpräsidenten in die Klinik Schwarzach. Die Diagnose lautet auf Schädel-Hirn-Trauma, Althaus wird vorsichtshalber in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt. All das verkünden Ärtze und Polizisten auf Pressekonferenzen - der Fall wird zum Riesenereignis, weil Althaus ein Prominenter ist, aber auch, weil er die CDU dieses Jahr in einen Landtagswahlkampf führen soll.
Althaus, 50 Jahre alt, ist ein geübter Skifahrer. Er fährt Mountainbike und geht bergsteigen. 2008 ist er den Halbmarathon auf dem Rennsteig gelaufen. "Eine Sportskanone war der Dieter schon immer", hat sein bester Freund Gerhard Jünemann einmal erzählt. Die beiden Männer und die beiden Familien unternehmen Urlaubstouren, die man schon extrem nennen kann. 2006 waren es die peruanischen Anden, zuvor die namibische Wüste. "Zähigkeit, Ausdauer und einen starken Willen" lobt Jünemann an seinem Freund. Ohne Attitüde füge er sich in Gruppen ein. Und führe als brillanter Kopfrechner die Urlaubskasse.
Beim Sport, hat Althaus selbst erklärt, tankt er Energie für seine Arbeit. Dieser Winterurlaub hätte also ein guter Anfang in einem stressigen Jahr sein können. Am 30. August wird in Thüringen gewählt, die CDU regiert das Land mit absoluter Mehrheit. Althaus kann auf eine im ostdeutschen Vergleich günstige Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent verweisen, das Wirtschaftswachstum war bisher höher als in anderen ostdeutschen Bundesländern. Aber die Linke mit ihrem Spitzenkandidaten Bodo Ramelow ist stark in Thüringen. Auch die SPD, die bei der Wahl 2004 nur kümmerliche 14,5 Prozent bekam, hat Potenzial: Bei der Bundestagswahl ließ sie die CDU weit hinter sich und gewann doppelt so viele Direktmandate. Die Thüringer sind, mäkelig ausgedrückt, leicht von Stimmungen und Fernsehpolitik zu beeindrucken. Man kann es auch positiv sehen: Die Bürger dieses Landes sind nicht mit einer Partei verheiratet, sondern entscheiden sich stets neu. Das Bild des Ministerpräsidenten in der Öffentlichkeit ist wichtig.
Althaus kommt aus dem Eichsfeld, jenem Gebiet in Thüringen, wo in vielen Schulen zu DDR-Zeiten mehr Kinder zu Kommunion und Firmung gingen als zur Jugendweihe. Die Don Camillos in Heiligenstadt, Dingelstädt oder Effelder hatten ihre Peppones jedenfalls fest im Griff. "Heimat, Halt und Grundorientierung" habe ihm diese Herkunft gegeben, hat Althaus der taz 2006 im Gespräch für ein Porträt gesagt.
Das Eichsfeld bietet ihm noch immer Heimspielatmosphäre. Mitte November machte ihn in Heiligenstadt ein CDU-Landesparteitag zum Spitzenkandidaten, das Ergebnis: 100 Prozent.
In Heiligenstadt ist Althaus Messdiener, der Kaplan heißt Joachim Meisner, der später Kardinal in Köln wird. Althaus studiert in Erfurt, wird Mathe- und Physiklehrer und geht als stellvertretender Schulleiter an die Polytechnische Oberschule Geismar, Eichsfeld. Keine Jugendweihe, keine drei Jahre Armee, nur CDU. Weil die SED ständig um ihn warb und weil er eigentlich eine wissenschaftliche Laufbahn einschlagen wollte, so erklärt er es später. Nein, ein Fiesling sei er überhaupt nicht gewesen, hat seine ehemalige Lehrerkollegin Ingeborg Huke 2006 bestätigt. Als "wach, kritisch und immer vernünftig" beschreibt sie ihn. Er verlangte von seinen Schülern kein blaues FDJ-Hemd beim Wehrkundeunterricht und bekam dafür einen Rüffel vom unterrichtenden Offizier. Und wie war das mit der Auszeichnung "für hervorragende Leistungen bei der kommunistischen Erziehung in der Pionierorganisation Ernst Thälmann"? "Ich wollte den Bummi-Orden gar nicht haben, aber die Schule wollte mich irgendwie für mein Engagement auszeichnen."
Am 23. Oktober 1989 protestiert Althaus auf einer Montagsdemonstration gegen die DDR. Halbwegs unbelastete Köpfe wurden nach der Kerzenrevolution in der DDR gesucht. Althaus wird Kreisschulrat, der katholische Bischof Joachim Wanke empfiehlt ihm 1990 die Kandidatur für den Landtag. Sein politischer Ziehvater wird Bernhard Vogel, ab 1992 Ministerpräsident in Erfurt, CDU, ebenfalls katholisch. Vogel baut ihn, den Kultusminister und CDU-Fraktionsvorsitzenden im Thüringer Landtag, als seinen Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten auf. Ein einziges Gespräch habe es 2003 dazu gegeben, erinnerte sich Althaus später: "Ich bin keiner, der das Fenster weit aufmacht und hören will, wann der nächste Ruf kommt."
Der Übergang verläuft reibungslos. In der Bundes-CDU schlägt sich Althaus früh auf die Seite von Angela Merkel. Er kommt ins Gespräch als Aufbau-Ost Beauftragter der Bundesregierung, rückt ins CDU-Präsidium. Suchen Journalisten einen knackigen Kommentar zu großen Bundesthemen, halten sie Dieter Althaus ein Mikrofon hin, vor allem wenn sie bei Streit in der CDU einen Merkeltreuen suchen. Manchmal sagt er auch Ungwöhnliches: Als einziger wichtiger CDU-Politiker fordert er ein solidarisches Bürgergeld, ein bedingungsloses Grundeinkommen für jeden, in dem sämtliche Sozialleistungen des Staates wie Hartz IV, Kinder- und Wohngeld oder Bafög aufgehen sollen.
Vielleicht ist der Fleiß auf der politischen Bühne eine Art Vorwärtsverteidigung, Lust an der Politik strahlt er jedoch kaum aus. "Ich bin ein klassischer Verteidiger", hat er einmal gesagt.
Die tägliche 16-Stunden-Mühsal von Althaus ist in Erfurt sprichwörtlich. Quantitativ ist aus seiner Amtsführung nicht mehr herauszuholen. Von der Ausstattung seines engen, weitgehend von Bernhard Vogel übernommenen Arbeitszimmers scheint nur der PC zu interessieren. An den Orden in den Vitrinen auf dem Flur geht er mit Besuchern achtlos vorbei. Wenn er die Nacht nicht in Berlin oder in Heiligenstadt verbringt, verkriecht er sich in eine winzige Wohnung am Fischersand, gegenüber vom "Kleinen Vatikan" am Erfurter Dom. Aber er hat ja noch die sportlichen Urlaube als Ausgleich.
Freitagmittag teilt der Einsatzleiter der Polizei mit, im Auftrag der Staatsanwaltschaft würden Spuren des Unfallhergangs gesichert. Ob jemand Schuld an dem Zusammenstoß trägt, soll geklärt werden. Die Ärzte sagen ebenfalls am Freitag, es gebe gute Chancen auf Genesung. Nun werde der Patient langsam aufgeweckt. Dass die verletzte Skifahrerin tot ist, weiß Althaus da noch nicht.
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