Skaten: Ab in den Pool
Mit Skatestoppern und Bußgeldern versucht die Stadt Hamburg den Streetskatern das Leben schwer zu machen. Die sind aber flexibel und finden immer wieder neue Orte. Poolskater haben es einfacher, für sie gibt es Skatebahnen.
Die Magellan-Terrassen an einem Donnerstag, am späten Vormittag - nichts los. Immerhin scheint Sonne drauf. Touristen strolchen am oberen Rand entlang, ein Schiff der Hafenrundfahrt schaukelt wieder weg. Am linken Ende des Platzes ein paar junge Burschen. "Sie sind doch nicht hier, weil wir alles kaputt machen?", fragt einer von ihnen, "wir machen nämlich nichts kaputt, wir sind auch nicht laut. Wir skaten nur." Erwachsene gelten erst mal als gefährlich, machen Angst und bringen einen in die Defensive.
Die Fenster zu den Balkonen der Wohnhäuser, ein paar Meter entfernt, stehen offen. Skaten macht vier Geräusche: das Rollen der Räder der Boards auf dem Untergrund, das Auftreffen der Räder auf den Steinen der Terrasse nach dem Trick, das Stöhnen der Skater, wenn sie sich die Gräten prellen, weil der Trick misslang. Und die Beats, die in moderater Lautstärke aus dem Ghettoblaster blubbern.
"Oh", jammert Lennart, 14, der auf dem Rücken gelandet ist. "Hast dir den Arsch gebrochen?", erkundigt sich Felix zartfühlend.
Die Jungs, sechs an der Zahl, sind zwischen 13 und 16 Jahre alt und aus Lübeck. "In Lübeck ist nicht viel mit Skaten", sagt Lennart. Keine Skatebahn in der Halle, wie hier in Hamburg am Berliner Tor, falls es mal regnet. Deshalb kommen sie, mit dem Sommerferien-Ticket der Bahn, hierher. Fast jeden Tag, wenns irgendwie geht.
"Das war knapp, Alter", lobt Falco, 15, weil Hennings Kickflip fast geklappt hätte. Was die Lübecker Jungs hier machen, ist Streetskaten, also skaten auf der Straße. Sie nehmen, was die Stadt bietet, Rillen, Kanten, Unebenheiten, und arbeiten am Kickflip: Rollen, so abspringen, dass sich das Board einmal um die eigene Achse dreht, wieder mit beiden Beinen auf dem Board landen, weiterfahren. Klingt leicht.
"Rissen, Messberg, Stadthausbrücke, Kunsthalle", zählt Felix die anderen "Spots" fürs Streetskaten in Hamburg auf. Waren von den Architekten nicht als Skatebahnen geplant, sind es aber jetzt. Die Jungs sehen die Stadt als sportliche Herausforderung: Treppen und Rampen als Parcours. Das Teherani-Hochhaus gegenüber dem Chile-Haus schreit nach Skaten. Wenn Hadi Teherani das nicht wollte, als er die Rampen plante, dann gibt es in ihm etwas, das mehr will, als er weiß.
Die Stadt lädt ein zum Skaten, aber sie lädt die Skater nicht ein. Streetskater sind immer auf der Flucht. Weil es, wie in jedem Paradies, einen Erzengel gibt, der sie vertreiben will. Die Polizei. "Was die Magellan-Terrassen anbelangt", behauptet Lennart, "hat sich noch keiner beklagt."
Im Hintergrund die Kehrwiederspitze im blauen Dunst, Wasser, viel Beton und Steine, Alibi-Bäumchen. Grüner und lebendiger sind die Jungs aus Lübeck. Von oben linsen ein paar Touristen herüber. Die Skater bringen Abwechslung in die Liste dröger Hamburg-Sehenswürdigkeiten, die sie abklappern müssen: Alster, Michel, Ole.
Felix steht den Kickflip. "Cool", murmelt Falco. Felix nimmt einen Schluck Eistee. Der Bann ist gebrochen: Auch Henning schafft den Kickflip, von der vierten Stufe der Terrasse runter. "Endlich", sagt er. Die anderen nicken. Abklatschen. Beim nächsten Versuch, im Gefühl des sicheren Sieges, zerlegt es Henning. Liegt da, als sei er hin. Da bilden die anderen Skater einen Zug, legen die Hände auf die Schultern des Vordermannes, rollen langsam auf Henning zu, und heulen "ühi, ühi, ühi". Der Skater-Ambulanz kommt. Henning lacht mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Eine Stadt wie Hamburg ist was sie ist. Und zugleich ihr Gegenteil. Und selbst Hamburgs Gegenteil, zum Beispiel die Streetskater, sind brav. Wenn die von den Magellan-Terrassen verjagt werden, ist der Platz toter als der Ohlsdorfer Friedhof.
Wenn die Jungs aus Lübeck des späten Morgens an einen ihrer Spots kommen, kann es sein, dass über Nacht Skatestopper gewachsen sind: Metallschienen auf den Stufen, Sand, Gumminoppen, die das Skaten verhindern sollen. Wer, als das noch ging, auf dem Jungfernstieg skatete, wurde, angeheizt durch die Berichterstattung der Lokalpresse, mit Geldbußen in Höhe von 5.000 bis 10.000 Euro bedroht. Da geht es um Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung. Keine erlaubten Spots in der großen, freien Stadt.
Um das Streetskaten, das dem Beton etwas Leben einhaucht, zu verhindern, baut die Stadt Skatebahnen für die andere Skaterfraktion. In Eimsbüttel, im Wehber-Park, neben der "Seniorenresidenz" mit den gelben Markisen, schmeißen sich Poolskater die Betonwände ihrer Bahn hinunter. Haben mit den Streetskatern nichts zu tun. Andere Disziplin.
Als die Bauarbeiter mit dem Betonieren des Pools fertig waren, und die ersten Skater ihre Runden drehten, riefen verunsicherte Senioren die Polizei. Sie hatten erwartet, dass hier ein lütter Ententeich entsteht. Die Polizei erklärte den Herrschaften dann, dass hier nicht Enten baden, sondern Skater fahren. Ach so, na dann, danke Herr Wachtmeister.
Nun haben sich die Alten arrangiert. Sitzen, vom Pflegepersonal auf den Balkon geschoben, in Rollstühlen und gucken zu. Besser als fernsehen. Die Mobilen machen sich mit Gehwagen und einer Dose Bier auf den Weg in den Park und sitzen, bis es dunkel wird, auf einer Bank. Reden wenig, schauen zu. Es kann sein, dass die Skater hier bis 23 Uhr umtriebig sind, wenn es das Licht hergibt, und sich keiner beschwert.
Bis der Pool im Park stand, dauerte es fünf Jahre. "Der beste Pool in der Stadt", sagt Benny, 21, aus Hamburg. Von den Skatern in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt, im Zuge der Neugestaltung des Parks, geplant. "Hat etwa 100.000 Euro gekostet, alles in allem", sagt Benny. Das Problem war, mit dem wenigen Geld was Brauchbares zu bauen. "Auch der Pool hinter der Flora ist nicht so ein 08/15-Ding, wie sie überall stehen, sondern einzigartig, weil wir das gebaut haben", sagt Stephan, 33. Den Flora-Pool hat die Szene bezahlt.
So gegen 18 Uhr hinter der Flora. Ein Vater mit zwei Söhnen, die Mutter sitzt am Rand und spendet den Gestrauchelten Trost. Ein etwas korpulenter Mittdreißiger, der sich ein Board geliehen hat, verausgabt sich. Vor ein paar Tagen war hier was los. Da lief die ganze Schanze zusammen. Ein paar Jungs, weiß der Teufel, wo die herkamen, zogen eine Show ab. Flogen über den Rand, sausten mit Affenzahn über den Beton, Rastalocken, laute Musik, Early-Grab-Airs, Ollies, Applaus.
Ein amerikanischer Soziologe namens Richard Florida, auf den sich neben der Kultursenatorin des Landes Hamburg auch einige in der Stadtverwaltung berufen, sagt, dass die urbane Kultur einer Stadt entscheidend vom Umgang mit ihrer Off-Kultur abhängt. Hamburg hat eine Off-Kultur. Noch. Denn im Moment bricht sich die Stadt, beim Umgang mit der Off-Kultur der Streetskater, den Arsch.
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