Ska-Revival: Die ewige Partymusik
Dass Ska sich mit Punk verträgt, ist nicht neu. Aber Ska und russische Folklore, Comedy-Ska, christlicher Ska? Die Szene ist lebendig wie selten.
Niemand weiß, wers als Erster getan hat. Auf ewig ungeklärt wird auch bleiben, ob eine musikalische Eingebung verantwortlich ist, ein einfacher Missgriff oder die Folge ausgiebigen Drogenkonsums. Sicher immerhin ist: In den späten Fünfzigerjahren vollzog sich in einem Aufnahmestudio in Kingston ein Paradigmenwechsel. Aus amerikanischem Rhythm n Blues wurde durch eine simple, aber folgenreiche Akzentverschiebung im Rhythmus ein neuer Musikstil geboren: Ska.
Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, bevölkern die jamaikanischen Musikexporte Reggae, Rocksteady, Dub oder Dancehall, allesamt dereinst aus Ska entstanden, die Charts weltweit und beschallen die Tanzböden in aller Herren Länder. Und die Mutter des Ganzen, der Ska? Ist in seiner Heimat ausgestorben, aber überall sonst so fidel wie noch nie, auch und gerade in Deutschland. Täglich scheinen sich neue Ska-Bands zu gründen, alte Helden gehen auf Comeback-Tour durch gut gefüllte Hallen und ein neues, jüngeres Publikum ist herangewachsen.
Allein in Berlin, schätzt Matthias Bröckel, gibt es momentan mehr als dreißig Bands, die Ska oder Artverwandtes spielen. "Das sind mehr, als es 1989 in ganz Deutschland gab", sagt Bröckel, den jeder nur Matzge nennt und der in jenem Jahr die Plattenfirma Pork Pie gründete. Sein bald zwei Dekaden altes Label ist immer noch das wichtigste für Ska hierzulande. Und das kommerziell erfolgreichste. Das hat in einem Nischenmarkt wie Ska allerdings nicht viel zu bedeuten: Die Verkaufszahlen sind traditionell eher marginal und sinken weiter - wie in der gesamten Musikindustrie.
Ska allerdings war immer schon hauptsächlich Livemusik. Der hoppelnde Rhythmus ist ansteckend, Ska-Bands garantieren gute Laune und dem Veranstalter meist auch einen überdurchschnittlichen Umsatz an der Theke. Auch auf Festivals sind Ska-Bands schon immer gerne gesehen, weil sich die verschiedensten Jugendkulturen auf Ska als Partymusik einigen können. Und in diesen Zeiten, da bei sinkenden Tonträgerverkäufen der Bühnenerfolg immer wichtiger wird für das Auskommen einer Band, erlebt der Ska einen Aufschwung.
Das sah noch vor wenigen Jahren ganz anders aus: Nach den großen Zeiten der Two-Tone-Bewegung um Bands wie Madness und Specials im England der späten Siebziger und der daran anschließenden, sogenannten Third Wave, mit der sich Ska in den Achtzigern im Rest von Europa verbreitete, war der flotte Offbeat im Underground versunken. Dort achteten Gralshüter darauf, dass modische Vorgaben und musikalische Reinheit gewahrt bleiben. Innovationen und Veränderungen wurden misstrauisch beäugt. Als El Bosso & die Ping-Pongs Ende der Achtzigerjahre als Erste begannen, deutsche Texte für ihre Ska-Songs zu schreiben, setzten Diskussionen in der Szene ein, ob das überhaupt statthaft sei. Nach einer zwischenzeitlichen Auflösung gehören die Münsteraner mittlerweile wieder zu den angesagtesten deutschen Bands, spielen vor ausverkauften Hallen, und dass Ska auch auf Deutsch möglich ist, steht längst außer Frage.
Die Traditionen werden auch heute weiter hoch gehalten. Noch immer gibt es viele Fans, die nicht nur Ska hören, sondern sich mit Pork-Pie-Hütchen und antikem Anzug kleiden wie die jamaikanischen Rude Boys der Sechziger. Und die jamaikanischen Pioniere, jedenfalls soweit sie noch am Leben sind, erfreuen sich immer noch großer Wertschätzung und finden ihr Auskommen mit Tourneen durch den Rest der Welt.
Aber von solchen musealen Veranstaltungen sind die neu herangewachsenen Bands in Deutschland weit entfernt. Sie experimentieren mit der einst so in den eigenen Traditionen gefangenen Musik und neben den schon länger möglichen Fusionen wie Ska-Punk oder Ska-Core scheint mittlerweile alles möglich: SkaZka, sechs Berliner mit russischen Wurzeln, verschmelzen Ska mit der Folklore ihrer alten Heimat, und die Partyband Dosenbier aus Paderborn verbindet Ska mit Comedy. Weißwurscht Is aus Eichstätt scheinen ihren Ska in der Puszta gefunden zu haben, was die nicht davon abhält, ihn mit niederbayerischen Texten zu verzieren, und Ringo Ska aus Hemsbach verwandeln ausschließlich Hits der Beatles in Ska-Songs. Ratatöska singen überm Offbeat in breitestem Berlinerisch. Blossom aus Leipzig spielen musikalisch traditionellen Ska mit christlicher Botschaft. Andere kreuzen Ska mit Funk, Jazz, Klezmer oder Hiphop. Möglich scheint alles, dem Um- und Neudefinieren des Genres sind keine Grenzen gesetzt - und das junge, nachgewachsene Publikum ist ähnlich undogmatisch wie die Bands. "Ein Segen ist das", meint Richard Alexander Jung, als Dr. Ring Ding seit den frühen Neunzigern eine legendäre Figur der deutschen Skaszene.
Jung hat auf den Konzertreisen mit seiner Band festgestellt, dass Ska in anderen Ländern ähnlich lebendig ist wie in Deutschland. Auch in den USA hat sich die Szene mittlerweile davon erholt, dass mit Punk infizierter Ska in den frühen Neunzigerjahren sogar den Mainstream erreichte und daraufhin ein Ausverkauf stattfand, der die Szene in Mitleidenschaft zog. In Spanien erklommen die Madrider Ska-Punk-Veteranen Ska-P erst unlängst die Chartspitze. In Russland folgt den St. Petersburger Pionieren Spitfire nun eine ganze Welle an Epigonen nach. Aus Japan kommen auch unbekanntere Bands, nicht nur das seiner Heimat große Erfolge feiernde Tokyo Ska Paradise Orchestra, auf Deutschlandtour - und umgekehrt spielen deutsche Bands wie The Busters oder Skaos in Fernost. Labelmacher Bröckel konnte für die bislang letzte Ausgabe seiner Compilation-Reihe "United Colors of Ska" diesmal 44 Songs aus sage und schreibe 36 Ländern auswählen, darunter nicht nur aus Ska-Hochburgen wie Spanien oder Japan, sondern auch aus dem Iran oder Venezuela. Es gibt, so der Pork-Pie-Chef, mittlerweile "unzählige Bands von Südostasien bis Südamerika".
Zur Revitalisierung hat sicherlich auch beigetragen, dass der Rechtsradikalismus heute in der Szene keine Rolle mehr spielt. Ein Ska-Konzert dieser Tage ist - im Gegensatz zu den Achtzigerjahren, als es noch regelmäßig zu Schlägereien kam - eine weitgehend friedliche Veranstaltung. Dass Ska die Lieblingsmusik der ersten, Ende der Sechziger auftauchenden Skinheads war, das ist eine historische Tatsache. Auch die später entstandene Trennung der Skinhead-Szene zwischen traditionsbewussten Ska-Fans und glatzentragenden Neonazis gibt es immer noch, aber die rechten Skins hören längst schon keinen Ska mehr. "Das war doch auch schon immer idiotisch", so Dr. Ring Ding, "mit einer deutsch-nationalen Gesinnung ausgerechnet schwarze Musik zu hören".
Heute sind Skinheads bei Ska-Konzerten nicht nur in der Minderheit, sondern verstehen sich mit ziemlicher Sicherheit als unpolitisch oder sind sogar demonstrativ links. Währenddessen verabschiedet sich der rechtsradikale Nachwuchs zusehends vom Skinhead-Outfit und seinem negativen Image: Neonazis tragen heute nicht mehr Glatze und Springerstiefel, sondern vielleicht Pali-Tuch oder Parka und sind längst nicht mehr so einfach zu identifizieren.
Für Skinheads, die über den Ska zu ihrer Mode gekommen sind, hat sich so die Situation merklich entspannt. Die vor allem in Deutschland durch die Massenmedien flächendeckend verbreitete Gleichsetzung Skinhead = Neonazi weicht langsam auf, die Öffentlichkeit beginnt die ursprünglich bei ihrer Entstehung in den frühen Siebzigern einmal unpolitische Subkultur differenzierter wahrzunehmen. "Der Begriff Skinhead wird immer noch mit rechts assoziiert", weiß Rüdiger "Rütze" Rossig, der Gitarrist der Berliner Band Blechreiz und selbst Skin seit mehr als zwanzig Jahren, "aber vor dem klassischen Outfit hat kaum noch jemand Angst."
So steht der Ska bereit, von der weltweiten Finanzkatastrophe abzulenken. Es ist schließlich gute Tradition, dass die Musik stets in Krisenzeiten am erfolgreichsten war. Bei seiner Entstehung in Jamaika war der Ska die Musik der Rude Boys, arbeitslosen Jugendlichen, die sich in Straßenbanden zusammenschlossen. Als Madness und Specials Anfang der Achtziger ihre größten Erfolge feierten, war dies auch die Zeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und ihren umstrittenen Mitteln gegen die Massenarbeitslosigkeit. Die dritte Welle Mitte bis Ende der Achtziger, die in Deutschland viele Bands wie Blechreiz oder No Sports hervorbrachte, begleitete den erst von der deutschen Einheit unterbrochenen Wirtschaftsabschwung in der Bundesrepublik.
Beste Voraussetzung also für ein großes Ska-Revival. Doch dass ihre Lieblingsmusik demnächst die Charts erobern könnte, damit rechnen selbst die Protagonisten der Wiederbelebung nicht, weder Traditionalisten noch Erneuerer. In ausgedünnten Versionen, zuletzt durch eine Popband wie No Doubt, konnten zwar einzelne Ska-Songs immer mal kommerzielle Erfolge feiern, aber auf lange Sicht wird es wohl dabei bleiben: Der hoppelnde Rhythmus ist zwar für schweißtreibende Konzerte gut und auf Festivals gern gesehen, aber hat es seit Two Tone nicht mehr in den Mainstream geschafft. Unwahrscheinlich, dass sich das ändert. Auf der anderen Seite: Wer hätte erwartet, dass deutscher Soul oder Reggae jemals die Hitlisten stürmen würde?
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