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■ Sitzordnung im ReichstagHauptstadt Kreuzberg

Verfolgt man die Debatten im britischen Unterhaus, wird man das Gefühl nicht los, als könnte ein Parlament doch mehr sein als ein Monotalk bei Schreinemakers. Da wird handfest um Gesetze gerangelt und am Schlips gezogen, als wolle man die Volksherrschaft beim Worte nehmen, während es hierzulande schon als Sternstunde des Parlaments gilt, wenn ein Volksvertreter ohne Schnapsfahne und Manuskript die Vergangenheitsform dreier Sätze semantisch bewältigt. So überrascht es auch nicht, daß sich gestern die Streitkultur der Volksvertreter in einer Kontroverse darüber erschöpfte, ob der Kanzler im Reichstag künftig 17 Zentimeter über den Volksvertretern thronen darf. Und es wundert kaum, daß dem SPD-Mann Conradi („Bauherr Demokratie“) nichts weiter einfiel, als gleiche Höhe für alle zu fordern, also zum Kanzler aufzuschließen – beinahe so, als wollte man die hierarchische „Schule der Demokratie“ mit einer Gesamtschulsitzordnung bekämpfen.

Tja, muß man da wohl sagen, nun sind sie bald hier, unsere Bonner, und können doch nicht anders. Wie Vertreter der „Hamburg Mannheimer“ sitzen sie dann unterm Süssmuth-Glöckchen zusammen, strecken vorm Zwischenruf brav die Finger und gehen vor lauter Schonkost lieber in sich, als einmal so richtig außer sich zu geraten. Das deutsche Parlament ist (der Alterspräsident eingeschlossen) nicht einmal mehr das „Affentheater“, wie es die Sahra Wagenknecht von Weimar, Ruth Fischer, formulierte, bevor sie den Volksvertretern den Fehdehandschuh vor die Füße schleuderte. Um mal wieder eine richtige Show mit Volkstribunen zu sehen, muß man wohl auch künftig auf Übertragungen aus dem Unterhaus warten oder gleich nach Kreuzberg – zur Autonomen-Vollversammlung in den Mehringhof. Uwe Rada

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