Sinead OConnor: "Ich gehöre nicht ins Popgeschäft"
Sinead OConnor über ihr neues Album "Theology", ihre Vergangenheit als Zielscheibe, Liebe zur Religion und die tröstliche Wirkung von Schlafliedern
taz: Haben Sie gut geschlafen, im Hotel, so ganz ohne Baby?
Blass, auch ein bisschen zittrig ("Entschuldigen Sie, die Medikamente"), kommt Sinead OConnor zum Interview ins Münchner Hotelzimmer, eine 40-jährige Frau, nicht ganz schlank, müde, raue Stimme. Eine Popikone, der die Tränen aus den strahlenden Augen flossen, als sie 1990 den von Prince geschriebenen Song "Nothing compares to you" sang, eindringlich, mit dem großen Pathos des ganz, ganz Schlichten.
Eine Irin aus armen Verhältnissen, als Kind misshandelt, als junge Erwachsene eine Anklägerin des Missbrauchs in der katholischen Kirche, die das Bild des Papstes zerriss und dafür im Verlauf eines Bob-Dylan-Konzerts von der Bühne gepfiffen wurde. Mal verheiratet, mal bekennende Lesbe, dann erneut verheiratet, eine Mutter von vier Kindern, allesamt von vier verschiedenen Männern, seit 1999 auch Priesterin der palmarianisch-katholischen Kirche, eine ihrer Websites heißt "The Healing Room".
Sinead OConnor hat der Bühne schon mehrfach abgeschworen, sich aus dem Popbusiness immer wieder verabschiedet, und ist doch ebenso häufig zurückgekehrt. Jetzt ist sie mit der Doppel-CD "Theology" (Ministry of Sound/Edel) unterwegs, einer Vertonung von Psalmen, Bibelgeschichten und einer Adaption aus dem Andrew-Lloyd-Webber-Musical "Jesus Christ Superstar". Und will von der Vergangenheit nicht mehr viel wissen.
Sinead OConnor: Großartig. Ich habe großartig geschlafen.
Fünf Monate ist das Baby jetzt alt. Kurz nach seiner Geburt hatte es eine Lungenentzündung. Hat es sich erholt?
Oh ja. Zwei Wochen lang mussten wir damals im Krankenhaus bleiben. Aber das hatte sein Gutes: Wir haben Weihnachten dort verbracht. Zu zweit. Nur er und ich. Das war schön.
Werden Sie ihn anders erziehen als Ihre anderen drei Kinder? Ihr erstes Kind haben Sie ja schon bekommen, als sie zwanzig waren.
Und heute ist er so alt, wie ich war, als ich ihn bekam. Ich war ja sehr jung damals. Beim ersten Kind ist das immer so: Man macht all seine Fehler.
Profitiert Ihr Baby davon, dass Sie heute friedlicher sind als früher?
Mit den Kindern hatte ich immer meinen Frieden.
Ist es nicht schwierig, Kinder beim Großwerden zu stützen, wenn man selbst misshandelt wurde? Da fehlt doch ein positives Vorbild fürs Erziehen.
Ich hatte meine Großmutter. Die hat mir die wichtigen Dinge beigebracht.
Und was haben Ihre Kinder Sie gelehrt?
Unterbewusst sicher eine ganze Menge. Als Mutter beginnt man, auch die Musik als etwas Mütterliches zu begreifen.
Wie das?
Das ist nicht einfach zu erklären, weil es nichts mit Denken zu tun hat. Es ist ein Gefühl, ganz unbewusst, der Instinkt, eine lindernde, beruhigende Musik machen zu wollen.
Eine tröstliche?
Ja. Eine tröstliche.
Wie die Schlaflieder, die man Kindern singt?
Genau.
Früher konnten Ihre Lieder auch ganz schön aggressiv sein. Wie "War", ursprünglich ein Song von Bob Marley, von Ihnen umgetextet auf ein Lied gegen Kindsmissbrauch.
Für junge Musiker ist es wichtig, aggressive Lieder zu machen. Das ist ein ganz natürliches Stadium, durch das man geht.
Jetzt sind versöhnlichere Lieder dran?
Ich gehe nicht bewusst den einen oder anderen Weg. Musik hat mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle kann man nicht voraussehen.
Sehr häufig waren Sie Zielscheibe der Kritik. Wird man Sie künftig als Sängerin religiöser Lieder verschonen?
Ich glaube, Zielscheibe werden vor allem junge Leute. Wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat, hört das auf.
Vor drei oder vier Jahren haben Sie gesagt: "Ich möchte ins mittlere Alter kommen mit Frieden in meiner Seele." Und: "Ich möchte einfach eine kleine alte Dame sein, nicht umstritten."
Ich war es einfach leid, Zielscheibe zu sein. Sehr lange hatte ich das aushalten müssen.
Trotzdem begeben Sie sich mit "Theology" wieder in die Öffentlichkeit. Und riskieren, sich gehörig Spott einzuholen für Ihre Vertonung von Psalmen und religiösen Geschichten.
Das darf einen nicht einschüchtern. Man sollte die Musik machen, die man machen möchte. Ganz egal was die anderen sagen.
Eine so schmerzliche Zurückweisung wie beim Dylan-Konzert, als Sie von der Bühne gepfiffen wurden, weil sie ein Bild des Papstes zerrissen haben, wird bestimmt nicht mehr passieren.
Bestimmt nicht.
Die Aufzeichnung des Konzerts von 1992 in Madison Square Garden zeigt lange Ihr fragendes Gesicht. Dann singen Sie noch einmal "War". Es muss furchtbar gewesen sein.
Thats life. Es ist Vergangenheit. Und ich würde das gern in der Vergangenheit lassen.
Aber die Veränderungen, die Sie durchgemacht haben, gehören doch zu Ihrer Geschichte dazu.
Ich will die Vergangenheit da lassen, wo sie hingehört.
Und die Zukunft: Können Sie im Pop-Business in Würde altern?
Ich gehöre nicht ins Pop-Business.
Aber Teil des Musikgeschäfts sind Sie doch?
Ja. Ich arbeite mich hinein in eine andere Arena.
Sie werden jetzt nur noch religiöse Lieder singen?
Ich möchte nicht immer die gleichen Platten machen. Aber ich kann auch nicht vorhersehen, wie es weitergeht. Andere Projekte habe ich noch nicht.
Warum kommt Ihre CD denn in zwei Versionen daher? Einer akustischen, intimeren, und einer poppigeren?
Das war eine Art Unfall. Ich war gerade dabei, in Dublin die schlichtere Version zu produzieren. Dann hat mich mein Produzent nach London geladen, um dort ein paar Lieder einzuspielen. Er bestand darauf, "Theology" auch bei ihm in London aufzunehmen. So entstanden die zwei Versionen. Auf der Tournee werde ich beide spielen.
Wollen Sie die Lieder auch in einer Kirche singen?
Liebend gern! Ich habe schon in vielen Kirchen gesungen, zu Hochzeiten, für Freunde, in Los Angeles werde ich ein paar Lieder in einer Kirche singen, nicht das ganze Konzert, das würde ich nicht wollen, das passt nicht, nur ein paar Lieder. Weil eine Kirche keine Konzerthalle ist, sondern ein stiller Ort, und das auch bleiben soll. Ich halte nichts davon, in Kirchen zu trommeln.
Sie sind Priesterin einer außerkirchlichen religiösen Gemeinschaft.
Darüber spreche ich nicht.
Warum nicht?
Es ist privat.
Was kritisieren Sie an den Kirchen?
Ich liebe Religion. Seit ich klein war, bin ich religiös. Ich habe immer schon die verschiedensten Religionen studiert. Aber Gott und die Religion sind nicht dasselbe. Religion besteht aus all diese Regeln, die wie Mauern sind und die Menschen trennen und ausschließen.
Um die Glaubensgemeinschaft zusammenzuhalten.
Aber eben auch, um andere auszuschließen. Gott würde solche Regeln nicht schaffen. Er glaubt nicht an das Trennende. Ich bin mir sicher, dass er Menschen nicht beurteilt.
Viele Kriege finden im Namen Gottes statt.
In Gottes Namen kann keine Gewalt geschehen. George Bush sagt, er sei ein Christ. Das ist ein Witz!
Sie sind also gar nicht so friedlich, sondern doch eine politische Sängerin?
Ich glaube nicht an die Politik. Das Problem des Krieges ist ein spirituelles Problem. Kein politisches. Es gab schon immer Gewalt. Aber seit dem 11. September hat sich die Welt noch einmal dramatisch verändert. Sie wurde zu einer Welt des Terrors. Die Menschen, die die Welt anführen und deren Entscheidungen uns alle angehen, sollten ihre Spiritualität ganz genau überprüfen. Jeder kriegsführende Politiker sollte das tun. Krieg ist der Beweis, dass die Verbindung zu Gott fehlt!
Und Sie glauben, dass Ihre Lieder daran etwas ändern?
Nein, Lieder ändern nicht viel. Sie können ein Trost sein und eine Freude. Wie ein lustiger Film. Die Fähigkeit, andere zum Lachen zu bringen, ist das größte Geschenk. Aber die Welt verändert das nicht.
Ihr Geschäft wird das niemals sein: andere zum Lachen zu bringen.
(lächelt) Nein. Ein Freund von mir, der jetzt fünfzig wird und sehr große Angst und häufig Panikattacken hat vorm Sterben, sagt, die Platte helfe ihm in diesen schweren Momenten. Das ist alles, was ich tun will.
Und Ihre eigene Angst zu sterben?
Das hatte ich für eine sehr lange Zeit. Aber jetzt werde ich versuchen, diese Reise zu genießen. Es wird sicher eine sehr interessante Reise. Ich stelle mir schön vor, so entspannt zu sein. Es ist doch nur Furcht, die stört.
Vor vier Jahren haben Sie noch gesagt: Ich bin zu alt für das Musikgeschäft.
Da muss ich mich alt gefühlt haben.
Und jetzt?
Jetzt fühle ich mich immer noch alt. Aber nicht zu alt, um Musik zu machen.
INTERVIEW MONIKA GOETSCH
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Berichtigung
Große Aufregung: Darf man schreiben, dass Sinead OConnor "nicht ganz schlank" ausgesehen hat, oder ist das der Versuch einer unzulässigen Normierung auf ein bestimmtes Schönheitsideal? Und wie verhält sich das zu ihrem Werk? Zwischen Katholizismus, Antikatholizismus, Feminismus und Menstruationspop: Wie ist dies im Großen und Ganzen zu werten? Die Ausschüsse haben sich zur Beratung zurückgezogen.
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