: Sind alle Ausländer faul?
■ Mit Projekttagen zur Dritten Welt die Ursachen der Ausländerfeindlichkeit angehen
In einem deutschen Atomkraftwerk kommt es zum Super-GAU. Zehntausende von Flüchtlingen strömen über die Grenzen. Ihr Ziel: die karibische Insel Atlantica. Allerdings sind die Atlanticaner nicht allzu glücklich über die neuen Immigranten...
Planspiele wie »Atlantica« sind an ostdeutschen Schulen ein fester Bestandteil von Projekttagen zur Dritten Welt. »In dem Spiel wird zusammen mit der Fremdenfeindlichkeit auch das Nord-Süd-Problem thematisiert, denn auf der Insel herrschen Ausbeutung und armselige Lebensverhältnisse«, erklärt Inge Marcus von der »Gesellschaft für solidarische Entwicklungszusammenarbeit«, die zusammen mit den Lehrerkollegien interessierter Schulen Projekttage organisiert.
Für die Schulen in den neuen Bundesländern ist diese Unterrichtsform noch verhältnismäßig neu. »Manche Lehrer haben Angst, daß die Kinder außer Kontrolle geraten, wenn das normale System durchbrochen wird«, sagt Inge Marcus. »Aber meistens läuft das dann wunderbar.« In der Grundschule 23 in Marzahn hat die Pädagogin, die zehn Jahre in Lateinamerika gelebt hat, zwei Projekttage zur Situation von Slumkindern in Mexiko organisiert. Die Gruppen aus Acht- bis Elfjährigen ahmten in Rollenspielen das Leben der Kinder einer 18köpfigen Familie im Slum nach, die sich mit dem Sammeln von Abfall und mit Kaugummiverkauf auf der Straße durchschlägt. »Die haben sich gewundert, wie achtzehn Menschen in einer Hütte friedlich zusammenleben können, während es bei ihnen zu Hause dauernd Streit gibt«, erzählt Inge Marcus. Am meisten habe die Schüler beeindruckt, daß die Slumkinder für das Familieneinkommen mitverantwortlich seien.
Ein Grundgedanke von Dritte-Welt-Projekttagen sei es, den Schülern Verständnis für fremde Lebensformen zu vermitteln, sagt Frau Marcus. In Marzahn seien schon die Grundschüler von vornherein skeptisch gegenüber allem Fremden: »An ersten Tag haben die nachgeplappert, was sie von ihren Eltern hören, daß alle Ausländer faul sind. Dann haben sie gelernt, wie unglaublich fleißig diese armen Familien in den Slums sind und daß sie trotzdem immer arm bleiben.«
Auch Gabriele Scholze, Erdkundelehrerin an der 4. Gesamtschule Marzahn, möchte ihren Schülern vor allem vermitteln, »fremde Kulturen als gleichwertig anzuerkennen«. Sie hat mit einer 8. Klasse einen Projekttag zum Thema »Afrika« veranstaltet. »Die Fragestellung am Anfang war ‘Ist Fremdes schön?‚, und darauf antworteten die meisten erst mal mit: ‘Nein.‚ In dem Alter ist es hier nämlich leider schick, eine rechte Haltung zu haben«, sagt Frau Scholze. Nachdem die Schülergruppen dann aber unter anderem afrikanisches Kochen und afrikanische Tänze gelernt hätten, habe sich an dieser Einstellung einiges verändert. »Fünf Schüler haben hinterher sogar gesagt, sie wollten Entwicklungshelfer werden.«
Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, müßten solche Projekttage allerdings öfter stattfinden, meint die Lehrerin. Koko Affo-Tenin, eine Studentin aus Togo, die den Marzahner Gesamtschülern am Projekttag Kochen und Batiken beigebracht hat, stimmt ihr zu: »Schüler aus dem Ostteil machen sich am Anfang der Projekte oft über Afrikaner lustig. Sie hören dann damit auf, aber damit das vorhält, müßte man diese Veranstaltungen mehrmals im Jahr wiederholen.«
Manchmal bleiben die Projekttage auch kurzfristig erfolglos. »Das Planspiel Atlantica habe ich vor ein paar Monaten mit der Mittelstufe der 2. Gesamtschule Mitte gespielt«, erzählt Inge Marcus. »In einer Klasse gab es eine starke rechte Clique mit einem Anführer, dem die anderen völlig hörig waren.« Nach Anfangsschwierigkeiten hätte die Gruppe recht gut mitgearbeitet — »aber auf der Abschlußdiskussion haben die dann doch wieder sämtliche alten Vorurteile gegen Ausländer vorgebracht.« Miriam Hoffmeyer
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