Sind Sie beschäftigt?: „Die verarschen uns nach Strich und Faden“
■ Dem 31jährigen Siebdrucker „Chicy“ geht's auch ohne Arbeit gut. „Die Sonne scheint, das ist okay.“ Trotzdem hätte er gern einen Job, um seine Schulden bezahlen und auswandern zu können
In Berlin gibt es 290.000 Arbeitslose, nur jeder vierte Einwohner lebt von Erwerbsarbeit. Doch auch wer keinen Arbeitgeber hat, ist nicht ohne Arbeit. Die taz fragt deshalb: „Sind Sie beschäftigt?“
Der 31jährige „Chicy“: Seit zwei Monaten suche ich Arbeit als Siebdrucker. Es gibt nicht viel, was mich anspricht. Der Betrieb muß cool sein. Ich will nicht einfach irgendwo arbeiten, wo ich nicht mit den Leuten klarkomme. Ich suche übers Arbeitsamt und selber. Aber die auf dem Amt interessiert es gar nicht, was man in der Zwischenzeit gemacht hat. Wenn ich zum Beispiel nach einer Umschulung frage, sind die eher genervt. Man macht sein übliches Papierzeug und geht wieder. Weil
ich nur 480 Mark bekomme, bin ich auch auf dem Sozialamt, da ist es noch schlimmer. Da ist es richtig frustrierend. Ich suche in Zeitungen nach Arbeit, laufe rum, gehe auch in Betriebe rein und frage. Das zieht einfach am besten. Mir fällt nicht die Decke auf den Kopf. Die Sonne scheint, das ist schon okay. Wenn ich das gemacht habe, was ich mir für den Tag vorgenommen habe, gehe ich entweder spazieren oder fahre nach Potsdam, gucke mir da die Stadt an, schaue da nach Stellen oder gehe einfach mal schwimmen. Ich kann das recht gut genießen. Am liebsten liege ich in der Sonne. Außerdem habe ich angefangen Baß zu spielen.
Aber ich hätte schon ganz gern Arbeit, weil ich im Moment auch Schulden habe, die ich abbezahlen muß. Mir ist am wichtigsten, Geld zu verdienen. Mehr nicht. Ich will sparen, damit ich irgendwann hier wegkomme. Ich will nicht in Berlin bleiben, auch nicht in Deutschland. Ich denke da an Amerika, England oder Belgien oder sonstwohin, um etwas anderes zu sehen und andere Kulturen kennenzulernen.
Es wird ganz und gar nicht genug gegen Arbeitslosigkeit getan. Die verarschen uns nach Strich und Faden. Die Firmen bräuchten mehr Aufträge, damit sie überhaupt Leute beschäftigen können. Die sitzen ja alle auf dem trockenen. Barbara Bollwahn
wird fortgesetzt
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